Die Gedanken sind frei

Schaukel vor Zugspitzpanorama


Kommunikationsdesign heißt unter anderem so, weil dabei ziemlich viel geredet wird. Manchmal so viel, dass dem Individuum die Sicht auf das Wesentliche vernebelt wird. Besonders dann, wenn jeder auf seiner Denkspur als erster ins Ziel kommen will. Im Disput dominiert die Schlagfertigkeit. Wer die Kunst der Rhetorik oder gar der Polemik bemüht, sucht allerdings nicht zwingend nach der Wahrheit, sondern nach Bestätigung. Soll heißen: es schadet nicht, wenn man sich in wörtlicher Rede behaupten kann, solange man damit nicht die eigene Sturheit fördert.

Sich von (s)einer eingefahrenen Spur lösen zu können ist eine Schlüsselqualifikation bei der Konzeptentwicklung. Aus meiner Erfahrung ist das Gespräch durch seine sportliche Dynamik nicht wirklich gut geeignet. Man kann am runden Tisch verhandeln und brainstormen aber keine neuen Strukturen erarbeiten. Dazu darf man sich ruhig in Klausur begeben – wie Wilhelm Busch sagt, „in den intimeren Laubengängen des Gehirns lustwandeln, wo es bekanntlich schön schattig ist.“ – Oder, direkt raus in die Natur! Mit sich und dem Thema allein, also außer Konkurrenz und ohne den Druck sich dagegen durchsetzen zu müssen, wird der Blick klarer. Und mit etwas Glück kommt man mit einer ganz anderen Meinung aus einem Thema heraus, als man hineinspaziert ist.


Im Garten des Musée Rodin – „lustwandeln in den intimeren Laubengängen des Gehirns."


Reden, nachdenken, aufschreiben. So in der Reihenfolge stelle ich mir das vor. Die überprüfbare, nach außen gut darstellbare Form vermittelt die objektive Wahrheit. Ich bilde mir ein, dass ein Aufsatz, der Ungereimtheiten formulieren soll, irgendwann mit seiner Syntax ins Stolpern gerät. So hat jüngst eine Ärztin beim Verfassen eines Sachbuchs zur Homöopathie, quasi beim Lesen des eigenen Textes, erhebliche Zweifel an dessen Logik bekommen. Die Autorin und praktizierende Homöopathin plädiert schlussendlich gegen ihre alte Überzeugung, schließt ihre Praxis und stellt sich völlig neu auf. Kein positives Fazit für Esoteriker, aber ein schöner Einzelfall vorurteilsfreier Analyse. Sich selbst zu widerlegen hat durchaus Format.¹

Beim Entwurf mit Muße den eigenen Gedanken nachgehen zu können, ist vielleicht Luxus, den man sich aber so oft wie möglich ertrotzen sollte. Nichts gegen Teamwork, aber man muss die Zeit haben dürfen, seinen eigenen Kopf ohne Ablenkungen, Beeinflussungen oder Kritik von außen benutzen zu dürfen.


Wer nun einen Kommunikationsdesigner beauftragt, ein Produkt zu vermarkten, stellt es damit gleichzeitig auf den Prüfstand – der mutmaßliche Schönfärber ist in Wahrheit ein Gutachter. Wenn die Materie nichts taugt, ist sie auch mit Fantasie nicht zu versilbern. Denn entgegen der landläufigen Folklore, kann man in der Werbung nicht wirklich erfolgreich lügen.

Die Gedanken sind frei, extrem beweglich und ehrlich. Kein Aprilscherz.




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¹ Der Psychologe Daniel Kahneman beschreibt in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ den sogenannten „Bestätigungsfehler“, einen Reflex, die Informationen so zu interpretieren, dass sie den eigenen Erwartungen entsprechen. Selbstkritik ist dann die unverzichtbare Schlüsselqualifikation.