1633 – C'est la guerre! Jacques Callot

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Ein Achselzucken, eine Redewendung: so ist der Krieg! Das Volk sieht keine Chance dem Schicksal zu entgehen. Man muss sein Kreuz tragen, alles ist Fügung, Gott will es!

Da hatte man sich in der Renaissance einen progressiven Humanismus und eine strahlende Zukunft erwartet und jetzt diese deprimierende Rückschläge! Selbst die Natur hat sich gegen Mensch und Tier verschworen, stürzt Europa in die Klimakatastrophe der „Kleinen Eiszeit“, bringt Missernten, Kälte und Hunger und die Religionen sind bei allem kein Trost, sondern das noch größere Übel. Im Grunde kann die Renaissance nicht die große wissenschaftliche Zeitenwende gewesen sein. Denn selbst im Barock beschwört der Klerus mit aller Macht das längst widerlegte ptolemäische Weltbild. Die Sonne dreht sich um die Erde, der Himmel hat sich verdunkelt, Galilei hat Hausarrest. – Weil Gott es so will?


Jedenfalls zweifelt niemand am Vorrecht des eigenen Glaubens. Ganz wie der fromme Katholik Jacques Callot. Eigentlich für den Priesterberuf vorgesehen, ertrotzt er sich eine künstlerische Ausbildung und wird schließlich zum erfolgreichsten Kupferstecher und Radierer seiner Zeit. In dieser Rolle schließlich zum wertvollsten Dokumentarkünstler des Krieges. Als Spross einer wohlhabenden Familie wächst er im damals unabhängigen Herzogtum Lothringen auf und büxt bereits mit zwölf Jahren nach Italien aus, dem Land seiner Träume. Nach einigem Hin und Her verbringt er seine glücklichste Zeit als junger Künstler in Rom und Florenz, begegnet dort vielen großen Namen, von Galilei bis Cosimo de Medici, erfährt große Anerkennung und erlangt selbst eine gewisse Berühmtheit. Den Rest seines kurzen 43-jährigen Lebens verbringt er wieder in Nancy, arbeitswütig und wohlsituiert, seiner ersten Lebenshälfte nachtrauernd. Er stirbt an den Folgen der giftigen Dämpfe seines Berufes im Jahr 1635 – lange vor Kriegsende.

Wir empfinden sein Werk aus heutiger Sicht als Anti-Kriegs-Grafik. Die Darstellung grausamer Geschehnisse und Bestrafungen wirken auf uns nicht nur abschreckend, sondern auch anklagend, denn selbstredend stehen wir auf der Seite der Leidenden. Doch Gut und Böse liegen im Auge des Betrachters. Welche Motivation oder Kritik wir dem Künstler zutrauen ist abhängig von unseren eigene Werten und Erwartungen. Und es ist erlaubt, skeptisch zu bleiben. Heutzutage erhalten alle Filme über Kriegshandlungen per se ein Anti-Label. Ob aber, nur so als Beispiel, „Apocalypse Now“ ein lupenreiner Anti-Kriegsfilm ist oder nicht doch ein pervers-durchgeknalltes Machwerk für Action-Nerds ist, die zwar den Vietnamkrieg ablehnen, aber den Sound geil finden – das sei mal dahingestellt. In den heutigen Medien ist Callot der visuelle Background des Dreißigjährigen Krieges. Kein History-Feature, wo nicht die Kamera im Ken-Burns-Modus in seinen Radierungen herumfährt. Kein Geschichtsbuch ohne den „Galgenbaum“.


Avec Privilège du Roy – Jacques Callot, Noble Lorrain

Eine objektive Werkbetrachtung ist schwierig. Der Schlüssel zur zentralen Botschaft liegt in der Regel beim Auftraggeber, bei Jacques Callots Lebenswerk handelt es sich schließlich um reine Auftragskunst. Genau das aber ist das Problem bei seiner berühmtesten Serie „Die großen Schrecken des Krieges“. Was Callot zu dieser verstörende Dokumentation veranlasst, wer ihn dazu beauftragt oder dafür bezahlt hat, ist nicht belegt. Gedruckt wurde in Paris, dem Zentrum der Macht und auch das Titelblatt mit der Formulierung „mit königlichem Vorrecht“ bedeutet höchsten irdischen Segen. Fest steht nur, dass Callot zwei Jahre vor seinem Tod, der Zeit gemäß, in keiner guten Gemütsverfassung war – private Einlassungen des Künstlers sind durchaus möglich. 200 Jahre später ist das bei Goya schon klarer. Dessen „Desastres de la Guerra“, eine offensichtliche Würdigung an Callot, entstehen definitiv aus eigenem Antrieb und in eigener Verantwortung.

Die großen Schrecken des Krieges tragen in Jacques Callots Korrespondenz noch den Arbeitstitel „Soldatenleben“. Es könnte sich also um ein militärisches Kompendium handeln, mit methodischer Zielsetzung, nebst Strafandrohung. Das wohl bekannteste Blatt ist die Nummer 12, der schon genannte Galgenbaum, auch übersetzt mit „Die Gehenkten“, die Darstellung einer militärischen Massenhinrichtung. Möglicherweise eine sogenannte Dezimierung, eine Strafaktion gegen die eigenen Soldaten bei Versagen, Verweigerung oder Feigheit: jeder zehnte Soldat wird willkürlich zum Tode verurteilt. Dann wäre es möglich, dass rechts unter dem Baum zwei Kameraden um ihr Leben würfeln. Oder ist es ein entliehenes Motiv aus der Kreuzigung Christi? Die sonderbaren Begleitexte tragen nur wenig zur Aufklärung bei, die Opfer werden dort schlicht als Diebesgesindel diffamiert. Fraglich ist überhaupt, inwieweit diese Kommentare, die nicht von Callot stammen, inhaltlich synchron zu seinen Bildern sind, denn sie geben dem Gesamtwerk einen ganz anderen Drall. Das liest sich wie Propaganda und hat so gar nichts mehr von Anti-Kriegs-Dokumentation. In diesem Lichte betrachtet dreht sich die Motivlage. Die Abschreckung bleibt – die Anklage fehlt. So ist das mit der Kunst. Man kann sie vor jeden Karren spannen.


Wie auch immer, selbst der Auftragskünstler ist nicht gezwungen, in vollem Umfang die Intention seiner Auftraggeber und Förderer zu teilen und zu vermitteln, er kann die hintergründige Macht seiner Bildsprache nutzen um weitere Perspektiven zu eröffnen. In seinem Essay „Jacques Callot und die Erfindung des Individuums“, hat Bernd Schuchter genau die richtige Vermutung:

„Und dennoch drückt Callot … einen Aufschrei der Verzweiflung der vielen Unterdrückten dieses Jahrhunderts aus, schafft eine fast ketzerische Form von Individualismus in der Darstellung seiner Miniaturmenschen, von denen die Blätter wimmeln, und gibt diesen Geknechteten eine Art von menschlich-individueller Würde, die ihnen das ungerechte Gesellschaftssystem im Alltag noch lange verweigern wird.“


„Les Misères et les Malheurs de la Guerre“, Die großen Schrecken des Krieges
Radierzyklus in 18 Blättern, nachfolgend die zwei bekanntesten Blätter Nummer 4 und 12:

Bildquellen: Wikipedia Blatt 4 Blatt 12

Trilogie Teil 1, Teil 3