1618 – Von Rauch und starken Winden

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Im laufenden Jahr 2018 gibt’s nicht wirklich viel feiern. Ein Jahr wie gemacht für posttraumatisch belastende Jubiläen und eine kleine Zeitreise zurück zum mutmaßlichen Ursprung aller deutschen Paranoia – auf den Tag genau vor 400 Jahren beginnt in Böhmen der Dreißigjährige Krieg. Manch einer sucht und findet darin einen genetischen Grund für die dunkle Seite des deutschen Gemüts, die Verzagtheit und Zwanghaftigkeit, das Misstrauen gegenüber lebensfrohen Völkern, das mitunter erbärmliche Temperament zwischen Überschätzung und Minderwertigkeitskomplex. Woher sonst rührt die German Angst, wenn nicht aus dieser schweren frühen Kindheit?

Nun ist Deutschland groß und stark und immer noch drückt das frühkindliche Mobbing auf die Psyche. In der Tat stürzt uns das Jahrzehnte andauernde Desaster in ein schwarzes Loch, während beispielsweise in den Niederlanden das „Goldene Zeitalter“ beginnt, die Kaufleute der Ostindien-Kompanie nicht wissen wohin mit ihrem Zaster und irrwitzige Summen für die heimische Malerei verpulvern. Dort scheißt der Teufel immer auf denselben Haufen, bei uns brennt die Erde. Die einen legen ihr eigenes Land in Schutt und Asche, die anderen treiben munter Sklavenhandel und besegeln die Meere. Das prägt die verschiedenen Mentalitäten von Haus- und Wanderratten.

Im Deutschland des 17. Jahrhunderts bleibt nur noch die gemeinsame Sprache als Kitt einer hoffnungslos zerstrittenen Kultur übrig und so wird sich endlich, über die regionalen Dialekte hinweg, eine allgemeingültige Hochsprache entwickeln. Literatur statt Malerei, nun gut.


„Überauß lustig und maenniglich nutzlich zu lesen“ …

Mit diesen Worten bewirbt Grimmelshausen seinen „Abenteuerlichen Simplicissimus “, den ersten Roman der deutschen Literatur und sogleich ein Bestseller. Dieses, teilweise autobiografische Zeitgemälde über den Dreißigjährigen Krieg, ist in Wahrheit nicht ganz so lustig, auch wenn der Krieg bei Erscheinen schon 20 Jahre vorbei ist. Das furiose Werk ist stellenweise regelrecht Satire. Und weil diese Textgattung keinen guten Ruf genießt, schreibt der Autor unter Pseudonym. Der chaotische Held Simplicius begegnet mir schon zur Grundschulzeit. Ein „altersgerechter“ Auszug bringt auf zwei Seiten im Lesebuch eine berühmt-berüchtigte Episode. Darin überfällt eine Horde Soldaten mit gewerbsmäßiger Grausamkeit den entlegenen Bauernhof des noch kindlichen Ich-Erzählers, der ganz offensichtlich in seiner unschuldig-blöden Wahrnehmung gar nicht begreift, was er da an entsetzlichen Folterungen beschreibt. Für mich als buchstabierendes Kind wohl auch ein gewohntes Gruselmärchen – kann mich jedenfalls an keine Schockreaktion erinnern.

In sicheren Friedenszeiten ist der Dreißigjährige Krieg großes Kino, da wirbeln die Musketiere in Mantel und Degen über Tische und Bänke und trommelnde Landheere mit wehenden Fahnen rauschen von links nach rechts durchs Bild. Aber in der historischen Rückbesinnung bleibt dem Regelschüler der deutschen Mittelstufe nicht viel mehr, als ein trostlos düsteres Nachbild elender Sinnlosigkeit. 30 Jahre Mord und Totschlag, Intrigen und irrationale Spekulationen ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Gewinn für Irgendwen, denn alles was uns lieb und teuer ist, geht schlichtweg in die Binsen. Menschenleben verlieren inflationär an Wert und die neue Wirtschaftslehre lautet: Der Krieg ernährt den Krieg – wie die perfide Theorie, so die grausame Praxis.


„Ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid, …“

So beschreibt Andreas Gryphius die deutsche Seele im Barock. Der Dichter entsagt stoisch der Eitelkeit des Daseins, während der Romancier Grimmelshausen mit Ironie, Konfrontation und Fantastereien den Horror aufarbeitet. Dessen Simplicius wird sich zwar auch am Ende seiner Abenteuer als Eremit von der Welt zurückziehen, taucht jedoch zuvor ins wahre Leben ein! Wenn schon, denn schon. Mit dem Vanitas-Lamento à la Gryphius kommt man kaum selbstständig aus der Klemme. Es mag im Kulturschaffen ein immer wiederkehrendes, beliebtes Motiv sein, im Ergebnis machen Schicksalsgesänge – der Mensch denkt, Gott lenkt – ziemlich antriebslos. Resignation ist eben ein gefährliches Stilmittel. Womit wir wieder bei Mentalitätsunterschieden wären. Wenn's läuft, dann läuft's. Wenn nicht, dann verfasst man solche Verse:

So muß auch unser Nam, Lob, Ehr und Ruhm verschwinden.
Was itzund Athem holt, muß mit der Luft entfliehn,
Was nach uns kommen wird, wird uns ins Grab nachziehn.
Was sag ich? Wir vergehn wie Rauch von starken Winden.

(aus: Menschliches Elende, 1663)


Warum aber soll ich alles Leid in Demut ertragen? Warum bin ich einerseits so fromm, dass ich in den Himmel komm’ und anderseits so bestialisch grausam? Die Antwort darauf ist das fatalistische Credo jener Zeit – allen Weltreligionen gemeinsam: Deus vult – Inshallah – Gott will es!

Trilogie Teil 2, Teil 3