A quick brown fox …


Meine beruflichen Erfahrungen vor, während und nach dem Studium waren geprägt von einer oft hektischen Arbeitsteilung. Im Workflow einer Werbeagentur der 80er und 90er Jahre trieben sich die Konzeptioner, Layouter, Reinzeichner, Retuscheure, Fotografen, Fotosetzer, Lithografen, Andrucker, Offsetmonteuere, und zuletzt die Drucker gegenseitig an, um in immer kürzerer Zeit „die Kuh vom Eis zu ziehen“. Ein Hühnerhaufen, in dem der eine den anderen unter Druck setzte und zum Teil auch recht abschätzig beurteilte. Der als blasiert eingestufte Grafiker kam am schlechtesten weg.

Dann kam DTP und damit die Aussicht, viele dieser Arbeitsschritte in einem Berufsbild zu vereinen. Eine heftige Umbruchphase mit dramatischen Perspektiven: Die einen sollten plötzlich das Doppelte und Dreifache erledigen, die anderen waren erledigt. Der Grafiker sollte bis zur Druckvorstufe alles übernehmen: Layout, Satz, Reinzeichnung, Bildbearbeitung. Gerade der nachtaktive Grafiker, immer kurz vor dem Burnout, fragte sich also, ob er jemals wieder einen freien Tag erleben würde, die anderen saßen buchstäblich auf der Straße. Der Inhaber meines Lieblings-Satzstudios, der etliche Jahre gutes Geld verdient hatte und mit einem edlen Jaguar herumkutschieren konnte, hatte sich, kurz vor dem Untergang des Fotosatzes, gerade noch die millionenteuren Gerätschaften der Berthold AG aufgehalst, schwang sich eines Tages aufs Radl und machte sich aus dem Staub – nach Thailand. Ein krasses Worst-Case-Szenario mit einer besonders kuriosen Exit-Strategie.

Ehrlich gesagt, ich fand die umständliche DTP-Vorzeit, mit ihrer pseudomodernen Technik aus Fotosatz, Sprühkleber und Airbrush-Retusche einfach nur nervig. Der Alltag war viel stressiger, nichts ging schnell genug. Jeder Termin war ein Kampf und folgte einem absurden Sportsgeist, bei dem nur die Zeit zählte. Die Deadline – ein fast metaphorischer Anglizismus – war immer „vorgestern, ich kann’s nicht ändern“, mit einem albernen Unterton vorgetragen, man fand das wohl lustig. – Jetzt hat sich das Blatt gewendet, jetzt haben wir Kreativen ein Tempo drauf, mit dem die Kunden nicht mehr mithalten können. Nach der Layoutabgabe hört man zwei Wochen nichts ;-) wunderbar!



Kleine Layoutrevue aus Sprühkleberzeiten.
Erste Beilagen für Fedrigoni – ohne Mac! auch schön, aber mühsam.


Dass alles so gekommen ist, ist dann schlicht das Ergebnis glücklicher oder tragischer Zufälle und soll nun keineswegs denjenigen Recht geben, die angeblich alles schon immer so vorhergesehen haben und sich was drauf einbilden, Menschen zu disqualifizieren, die in ihren Augen einen nutzlosen, weil altmodischen Beruf ausüben. Abgesehen davon, werden „Vorhersagen“ ganz gerne im Nachhinein behauptet, was schwer zu widerlegen ist. Egal, was mich im Zusammenhang mit dem sogenannten Strukturwandel aber am meisten stört, ist die verächtliche Arroganz, mit der über Menschen räsoniert wird, die ihren Arbeitsplatz verlieren, um sie dann nüchtern als Bauernopfer abzuhaken.

„Au Renard Préchant“ ¹

Im neoliberalen Umfeld haben wir uns angewöhnt, die Vergangenheit – und das sind manchmal die letzten zwei Wochen – rein ökonomisch und funktional zu bewerten. Wir schütteln den Kopf über Menschen, die zaudern, wenn etwas Neues am beruflichen Horizont auftaucht. Die zuerst überlegen, welche Konsequenzen die Veränderungen für die eigene Zukunft haben könnten und Fragen stellen, anstatt einfach zur Seite zu treten und Platz für das Neue zu machen. Wir vergessen dabei, dass es nicht in erster Linie um das System geht, sondern um den Menschen. Eine Gesellschaft, auch wenn wir sie Volkswirtschaft nennen, ist kein Betriebssystem, das man über Nacht updaten oder gar austauschen kann. Schließlich wollen wir friedlich miteinander auskommen und selbstverständlich von unserer Arbeit leben können.

Flexibilität wird immer von denen gefordert, die mit der Praxis wenig zu tun haben und mit Theorien über den Dingen schweben dürfen. Berater, die nur ihren eigenen Kopf zum Arbeiten brauchen und weder Maschinen noch Personal bezahlen müssen, können in solchen Situationen besonders visionär auftreten. Und der Chauvinismus dieser Systemchecker ist nicht neu. Wer in revolutionären Zeiten nicht funktioniert, darf von Radikalen kein Mitleid erwarten. Schwacher Trost: Wie die Geschichte uns lehrt, verliert so mancher Robespierre am Ende selbst seinen Kopf.

Natürlich fragt man sich unter diesen Umständen, wie viel man jetzt an sein Berufsleben noch dranhängen soll. Ein Glück, wenn man sich diese Frage autonom stellen kann. Denn am Ende einer kommerziellen Karriere könnte man ja fast auf die Idee kommen, „künstlerisch“ zu arbeiten. Da nehme ich mich nicht aus. Aber warum sollte man als gut bezahlter Designer eine Originalgrafik für ein paar Euro aus der Hand geben? Nein danke, Design steht grundsätzlich über einem Hobby-Gepinsel. Und warum sollte man nicht auch endlich genießen, dass die unnötige Hektik aus dem Job peu à peu nachlässt. Der alte Fuchs behält immer noch sein Revier im Auge, aber der faule Hund, als mein Alter Ego sozusagen, gehört jetzt auch zum Team.


Der faule Hund aus Dürers „Melencolia I“


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¹ Auf Deutsch: „Zum predigenden Fuchs“. So heißt ein Straßburger Wirtshaus, das mir romantisch in Erinnerung ist und eben auf Französisch einfach viel besser klingt. Ein deutsches Sprichwort dazu lautet: „Wenn der Fuchs predigt, so hüte deine Gänse!“ – Die Reden der Füchse sind also mit Vorsicht zu genießen (siehe Galeriebildchen unten).



siehe auch Die Leichtigkeit des Designs
und Work, Life, Balance