alphabet – Film von Erwin Wagenhofer

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„Nach WE FEED THE WORLD und LET'S MAKE MONEY ist ALPHABET der abschließende Teil einer Trilogie, der die Themen der beiden vorherigen Filme nochmals aufgreift und wie in einem Brennglas bündelt.“ (Zitat alphabet-film.com)

Ein lakonischer Film mit folgender Kernthese: Menschen verlieren mit fortschreitender Schulbildung immer weiter ihre angeborene Genialität im Sinne der Denkflexibilität, Fantasie und Vielfalt. Das Nur-eine-Lösung-ist-richtig-Dogma globaler Bildungssysteme führen Wagenhofer und seine Referenten auf ein volkswirtschaftliches Kalkül zurück, dass natürliche Begabungen nach ökonomischen Bedürfnissen zurechtstutzt und damit in Kindheit und Jugend systematisch vernichtet. – Den trüben Verdacht haben wahrscheinlich viele, die seit dem PISA-Schock für ihre Schutzbefohlenen verzweifelt nach Fluchtwegen suchen, als wäre Bildung eine Pandemie.

Warum schaffen wir es nicht, die Lebensfreude und den Wissensdurst an sich zu fördern? Warum wird die strategisch so wichtige Ressource der Vorstellungskraft nicht besser genutzt? In der Lebenswirklichkeit schadet Ungebildetheit weniger als Orientierungs- und Fantasielosigkeit. Die eigene Leistungsfähigkeit basiert eher auf Begeisterung, Disziplin und Ausdauer, als auf Intelligenz und klassischer Bildung. Wer es nicht glaubt, sollte sich und andere im beruflichen Alltag einfach mal eine Zeit lang beobachten.



Die gesamte Trilogie ist allein ihrer Stilmittel wegen absolut sehenswert. Keine Stimmungsmusik, keine Weitwinkeldramatik, keine plakativen Statements. Doch trotz der formalen Zurückhaltung kommen mir inhaltlich Zweifel. Kann man einem altersmilden Personalvorstand der Deutschen Telekom wirklich glauben, wenn er den Mangel an Querdenkern beklagt und deshalb eine radikale Bildungsreform von oben fordert? Außerdem: die Testimonials im Film finden ihre individuelle Erfüllung ja ausschließlich im künstlerischen oder geisteswissenschaftlichen Dasein.

Um auf einem idyllischen Landsitz nahe Paris seinen verdienten Lebensabend verbringen zu dürfen oder als feinnerviger Gitarrenbauer seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, braucht man einfach auch Glück. Mit anderen Worten: Lebenskünstler gab es schon immer. Was aber wird aus dem jungen Dortmunder, der mit seinem Hauptschulabschluss trotz Fleiß und Willenskraft nicht weiß, wovon er am nächsten Tag satt werden soll? Ihm fehlt es schlicht an Beziehungen und Verbindungen, die jeder Mensch zum Aufstieg und zur Absicherung des erreichten Niveaus braucht. In diesem Gesellschaftsspiel wird Bildung zum Statussymbol und keiner illustriert die Netzwerkperformance besser als die Kotzbrocken von McKinsey.

Also wieder eine selbstgefällige Theorie für intellektuell und materiell Bessergestellte? Der Film entwickelt bewusst keine konkreten Lösungen. Seine (nicht ganz) neutrale Bestandsaufnahme liefert aber für Kommunikationsexperten wichtige Denkimpulse. In seiner stillen Art sehr eindrucksvoll.