Anekdote vom servilen Ungehorsam


Manchmal passen Auftraggeber und Dienstleister einfach nicht zusammen. Und manchmal macht es direkt Spaß, eine Präsentation nach allen Regeln der Kunst an die Wand zu fahren. Vom Fußballer Rolf Rüssmann ist das Zitat überliefert „Wenn wir hier nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt.“ – Aber der Reihe nach …

Zu einer Zeit, als man Präsentationen noch nicht Pitch nannte und sogar Geld dafür bekam, hatte uns die Firma „Bavarian High Potentials Ltd.“ (Name von der Redaktion geändert) eingeladen, ein neues Webkonzept auf Basis des bestehenden CD zu entwickeln. Dieses CD war visuell nicht schlecht, verwendete aber hauptsächlich ein fragwürdiges Key Visual des russischen Künstlers Wladimir Tatlin. Im Vorgespräch wies ich vorsichtig darauf hin, dass dieser sogenannte „Tatlin’sche Turm“ wohl kein lupenreines demokratisches Motiv sei, bekam aber freundlich-steril erklärt, dass es sich um ein sehr plakatives und in seiner progressiven Konstruktion sehr stimmiges Werk zur Darstellung der Unternehmensziele handele, an dem unsereins nichts zu deuteln habe. Ich schämte mich meiner Unverfrorenheit und machte mich kleinlaut an die Arbeit.

Dennoch schwante mir nichts Gutes. In der Erwartung, dass hier zwar viel verlangt werde, aber wenig zu holen sei, hatte ich für die Präsentation noch ein Knallbonbon eingepackt.

Die Jury hatte schon eine Reihe von Wettbewerbern vortanzen lassen und wirkte etwas anämisch, als wir an die Reihe kamen. Unser Webentwickler erläuterte deshalb bewusst knapp die technische Seite, ich fasste das Designkonzept in zwanzig Minuten zusammen und verwies ausdrücklich darauf, dass wir aus gutem Grund das Key Visual des Tatlin’schen Turms ersetzt hätten.

In der Fragerunde spielte dann aber weder Technik, noch Design, noch das Konzept ein Rolle, vielmehr interessierte sich die Jury für unsere Unternehmensform, Reputation und außerordentliche Leistungsnachweise. Das übliche Casting-Gedöns wie man's vom Fremdschämen bei Fernsehen kennt. Einige Wettbewerber hätten sich beispielsweise durch eine Übererfüllung der Aufgabe empfohlen, in dem sie noch eine kleine Flyerserie entwickelt hätten. Man zeigte sich überrascht, das wir die Aufgabe zwar ordentlich gelöst hätten, darüber hinaus aber keinen devoten Fleißnachweis lieferten. Im schnöseligen Unternehmensberaterjargon, den die jungen Hochbegabten schon recht gut drauf hatten, klingt das anders, aber im Kern war das die Botschaft.


Wladimir Tatlin mit Assistent vor seinem Modell der III. Kommunistischen Internationale
Bildquelle WikimediaCommons


Man sollte sich nicht provozieren lassen, es sei denn, man hat nur darauf gewartet. Die verbleibende halbe Stunde nutzte ich für ein Koreferat über den Stalin-Verehrer Wladimir Tatlin im Allgemeinen und seinen „Schiefen Turm“ im Besonderen, jene bombastische Fehlkonstruktion, die als Denkmal der „Dritten Kommunistischen Internationale“ die Wolga überspannen und Sitz des stalinistischen Propagandaministeriums werden sollte. Ich empfahl dem wertkonservativen Unternehmen, auf ein Symbol zu verzichten, das den Totalitarismus russischer Prägung verherrlichte, und drückte unser Befremden darüber aus, dass man diesen Sachverhalt nicht längst recherchiert hatte.¹

Als verlässliche Quelle verteilte ich abschließend einige Kopien aus einem Unterrichtswerk für bayerische Fachoberschulen und bedankte mich scheinheilig für die Aufmerksamkeit …

Ja, ja, ich weiß, das bringt nichts, aber es schadet auch nicht, wenn man eh schon unten durch ist. Außerdem hat's mir persönlich gutgetan. Und ich erzähl’s auch immer wieder gern ,-)

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¹ In der Kürze liegt die Würze und so kam Tatlin als renommierter Konstruktivist mit seinem künstlerischen Schaffen in meinem Palaver natürlich viel zu schlecht weg. Was zugegebenermaßen etwas unfair ist. Tatlin, unter Lenin ja noch ein Mann mit Zukunft, geriet im Stalinismus eher in die Defensive. – Jedenfalls entfernte die genannte Firma das Turmmotiv kurzerhand aus allen Online-Publikationen.