avenidas sin mujeres

Foto-Illustration: HHE


Die wenigsten Menschen haben ein Faible für Lyrik. Dass nun ein Gedicht die öffentliche Meinung beschäftigt ist kurios – zumal es sich um ein ausgesprochen defensives, kryptisches Wortgebilde der „konkreten Poesie“ handelt. Der AStA einer Berliner Hochschule jedoch protestiert seit zwei Jahren gegen das Gedicht „avenidas“, das in plakativer Typografie auf der eigenen Hausfassade steht, weil er dem nebulösen Text eine sexistische Deutung gibt. Die wenigen spanischen Vokabeln sind leicht zu übersetzten, aber jeder versteht da was anderes. Trotz vieler Vermittlungsversuche aus der Kunst- und Literaturszene wird schließlich dem Protest stattgegeben und man geht mit puritanischer Konsequenz an die Wurzel. Die „Schrift an der Wand” wird ausgelöscht. Kunst lebt zwar von der Vieldeutigkeit, aber damit kommen offenbar nicht alle zurecht.

Künstlerpech heißt das wohl, wenn man in etwas hinein gerät, was es vorher nicht gab. In dem Fall ist das die #MeToo-Debatte, deren Bedeutung sicher niemand ernsthaft in Frage stellt. Die Kulturredakteurin Beate Meierfrankenfeld hat dazu einen bemerkenswerten Text verfasst – ein Auszug:

„Wer #MeToo für relevant hält, muss nicht automatisch dafür sein, Bilder abzuhängen oder Gedichte aus dem Blickfeld zu entfernen, die als sexistisch empfunden werden könnten. Kunst und Leben sind nicht das Gleiche und gehorchen nicht der gleichen Logik. Es hat etwas Naives, Kunst eins zu eins und ganz persönlich auf sich selbst zu beziehen – wer es trotzdem tut, wird sehr viel verpassen. Und auf einer verzweifelt unhistorischen Insel der Weltwahrnehmung zurückbleiben, von der er anderen Zeitaltern und Kulturen immer nur aus sicherer Distanz zuwinken kann.“


Apropos: Hanns-Dieter Hüsch hat in eines seiner letzten Kabarettprogramme diese kleine Anekdote über Joseph Beuys eingebaut. Als der bereits international berühmte Beuys einmal von der Biennale in Venedig in seine niederrheinische Heimat zurückkehrt und ihn ein alter Bekannter fragt: „Na Jupp, wie waret?”, gibt der zur Antwort: „Wie sollet jewesen sein? Alles bissjen kleinkariert.”


Außerdem hätte ich ein persönliches Kompromiss-Angebot …

Foto-Illustration: HHE – Alice Salomon meets bauhaus