Berg und Tal

Die Zugspitze im Januar 2020


Lange mussten wir warten auf die Besichtigung der Werkstätten. Über die Coronazeit bleibt die zweite Ausbildung unseres Jüngsten sozusagen hinter verschlossenen Türen. Jetzt sind die „Schulen für Holz und Gestaltung“ in Garmisch-Partenkirchen für uns neugierige Designer eine beindruckend-positive Neuentdeckung. Im Sinne jenes schützenswerten Refugiums ist man versucht, dafür zu sorgen, dass es ein Geheimtipp bleibt, aber da wir nun mal zum Jahrgangsabschluss, mit offenen Türen, einen derart imposanten Einblick erhalten haben, mach ich’s offiziell: eine der coolsten Ausbildungs- und Hochschuleinrichtungen, die ich kenne.


Sohn und Mutter vor dem höchsten Berg, Juli 2022


Standorte spielen im Leben eine sehr große Rolle. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort und das Leben nimmt einen guten Verlauf. Wie es dazu kommt, dass man an Orten landet, die einen fürs weitere Leben perfekt auf die Spur setzten, ist, meiner Erfahrung nach, von vielen Zufällen abhängig. Wir mögen uns letztlich bewusst entscheiden, an einer bestimmten Uni studieren zu wollen oder uns auf eine Stelle in München oder Hamburg zu bewerben, aber weshalb wir im Vorfeld Sympathien für bestimmte Städte, Bundesländer oder Regionen entwickeln, ist reine Stimmungssache. Auf das Wohlwollen folgt das Wohlgefallen – sagte ich schon. Leon findet hier in Garmisch seinen „place to be“ und zudem eine wahre Schulheimat.

Dass es im Gegensatz zur neudeutschen Regelschule auch Konzepte gibt, die genau diese warme Atmosphäre bieten, erlebe ich ja seit nunmehr zehn Jahren auch auf der Montessori-Oberschule in München, wo ich im Praktikum Kalligrafie und Typografie unterrichten kann. Auch hier gibt es diesen beindruckenden Zusammenhalt. Niemand zockelt frustriert oder genervt bei Schulschluss gleich davon, viele halten sich hier auch noch stundenlang gerne auf, spielen Karten, Tischtennis, Kicker, machen Musik, quatschen untereinander. Viele, die sich später wieder melden, empfinden das als genau die Zeit, in der sie ihr Selbstbewusstsein gefunden und geformt haben.

„Arts and Crafts“

Die Veranstaltung der Garmischer Schule ist künstlerisch und handwerklich sehr beeindruckend und nach langer Abstinenz auch endlich in lockerer Stimmung mit Musik und Biergarten im traumhaft schönen Innenhof zu erleben. Die ganze Bandbreite des modernen und künstlerischen Handwerks, der Holzbildhauerei und des Designs ist hier ausgerollt. Eine Ausbildung schließt mit Gesellen- oder Meisterprüfung oder einem noch weiterführenden Hochschulstudiengang ab. Im Gespräch mit Schulleiter Florian Becker versuche ich kurz, meine positiven Lehrerfahrungen an der Gestaltungs-MOS mit dem hiesigen Ausbildungskonzept zu vergleichen, muss dann aber neidlos zugeben, dass hier alles noch etwas schöner ist.


„Ich investiere in Verwirrung“

Nur ein Aufkleber auf einem Bürostuhl hinter der Tiefdruckpresse (siehe Galerie oben). Der Satz ist so lustig wie vieldeutig, könnte aber auch einen Sack voller Zweifel bedeuten. Wir leben in einer Zeit, wo das Zweifeln und Irren ja regelrecht verpönt ist, was aber einfach nur ein Indiz der allgemeinen Ungeduld ist. Geschwollener ausgedrückt, „affektive Heuristik“ ist im Trend; soll heißen, auf noch so dürftiger Datenlage, stets eine schnelle Entscheidung. Mein weiser Held Johannes Kepler sagt dazu: „Wer nie zweifelt, kann sich auch nie wirklich sicher sein“. Was mich wohltuend bestätigt im kreativen Trotz und den zwangsläufig vielen Fehlversuchen. Was bis dato immer noch verkraftbar ist.

Das Glück liegt nicht auf der Straße. Kann aber auch passieren, dass man den Wert eines vermeintlich zufälligen Glücks unterschätzt. Oder nicht bemerkt. Dann braucht man eben die Familie, die Freunde, ein privates Publikum, das große Augen macht, applaudiert und gratuliert, dass man es so gut vorgefunden hat und das einen motiviert, jetzt auch wirklich dranzubleiben und sein eigenes Glück zu schmieden, solange das Feuer brennt.

Es ist erstaunlich, wieviel Existenzielles in altmodischen Spruchweisheiten steckt. Denn hat man schließlich nicht zu allen Zeiten versucht, etwas aus einem Leben zu machen? Dazu hat’s früher kein teures Coaching gebraucht. Die besten Tipps gibt es in Deutschland nach wie vor kostenfrei – sie kommen von guten Lehrer*innen, Ausbilder*innen und Dozent*innen.

Lieber Leon, bleibe zuversichtlich, fleißig und baue auf das Potenzial, das in dir steckt!