BTHVNs 250. Geburtstag


Es wäre ein wunderbares Beethovenjahr geworden. Die Stadt Bonn ist bestens vorbereitet auf ein hochkultiviertes Festival, mal abgesehen davon, dass die Renovierung der Beethovenhalle nicht rechtzeitig hinhaut. Musik und Kommunikationskonzepte jedenfalls sind fix und fertig, mit allem Zipp und Zapp, die Typografie ganz hipp: „BTHVN2020“ ohne Vokale, was übrigens eine sensationelle Erfindung des Meisters selbst ist, wie die Briefmarke zeigt. Und dann kommt die Pandemie – was könnte passender sein zum Schicksal des leidgeprüften Beethoven?

In seiner Bonner Zeit soll der junge Ludwig aus seinem Dachfenster noch fröhlich aufs schöne Siebengebirge geschaut haben – dort auf der anderen Rheinseite bin ich aufgewachsen, später in Bonn aufs Gymnasium gegangen. Als ich im Sommer die Altstadt besuche ist so gar nichts an offizieller Jubliläumsdeko zu finden. Einzelhändler räumen ihre Beethoven-Pappkameraden erst mal unauffällig an die Seite, nicht sonderlich berührt von dieser geplatzten Party. Rheinisch sorglos und unterstützt durch den späten Geburtstagsmonat lässt sich doch alles leicht ins nächste Jahr verlängern! Ob's nun dem ungeduldigen Beethoven gefällt? Da steht der grimmige Mann auf dem Münsterplatz und wartet auf seine Nachspielzeit.


Rückblende: Radio Uni – Die Fünfte

Gegenüber der Bonner Universität gibt’s ein großes Elektrogeschäft mit einer Plattenabteilung, die wir als Schüler eigentlich uncool finden, weil unsere Musik dort ziemlich unterrepräsentiert ist. Man merkt es förmlich, dass die Verkäufer Rockmusik am liebsten mit spitzen Fingern anfassen, denn zu der Zeit geht man mir der Platte seiner Wahl zum Tresen und fragt lässig, ob man mal „reinhören kann“, bevor man sie kauft, was selten vorkommt oder sich einfach wieder verdrückt.

Eines Tages jedoch entlocke ich einem ernsthaften Verkäufer ein Lächeln, als ich ihn nach der „Fünften“ frage. Ich hätte aber nur zehn Mark und Klassikplatten seien ja wohl besonders teuer. Sofort denke ich, sich als unbemittelt zu outen ist kein guter Einstieg, aber seine sympathische Reaktion überrascht mich. Augenscheinlich beseelt, dass er nicht fremdbestimmt die falsche Musik verkaufen oder noch schlimmer, einfach nur nach ’ner halber Stunde wieder wegpacken muss, kommt er hinter seinem Tresen vor und zupft mir eine Handvoll empfehlenswerter Aufnahmen aus den Kisten. Dabei erklärt er sich ausführlich, was ich dann doch nett finde, denn in Plattenläden wird eher stoisch oder gar nicht kommuniziert. Fast entschuldigend legt er die Berliner Philharmoniker unter Karajan für, naja leider 25 Mark, wieder zur Seite, aber hier: dasselbe Orchester unter Ferenc Fricsay, das sei „eine sehr ordentliche Einspielung“ für haargenau 10 Mark.

Prima, ich höre mir den gnadenlosen Beethoven im Stehen komplett an, währenddessen mir der Verkäufer immer wieder freundlich zunickt, so als spüre er, wie meine Kondition schwindet. Endlich lege ich mein abgezähltes Taschengeld auf den Tisch und verlasse den Laden mit meiner ersten Klassikplatte unterm Arm – ohne Ahnung von der Materie und mit leichten Kopfschmerzen, aber in eigentümlicher Zufriedenheit. Jedenfalls schön, wenn man sich gut beraten fühlt.


PS: Mondscheinsonate plus 31 weitere

Angesichts des heranrückenden Geburtstags habe ich über einen BR-Classic-Podcast, sozusagen im Crash-Kurs-Verfahren, noch schnell versucht mir alle Klaviersonaten „reinzuziehen“. Bin aber nur bis Folge 20 von 32 gekommen. Ein Serien-Verschling-Modus klappt da nicht so einfach, dafür ist das Werk deutlich zu kompliziert, wenn ich das überhaupt bewerten kann. Im Dialog mit dem Geiger und Kulturjournalisten Anselm Cybinski führt uns Pianist Igor Levit, in Zeiten der Ausgangsbeschränkung aus seinem „Wohnzimmer“ heraus, durch Beethovens Klangwelt – ein sehr angenehmes Sendeformat mit Sogwirkung. Als musikalischer Dilettant steigt man beim Jargon der beiden Cracks gelegentlich aus, verliert aber trotzdem nicht den Faden, weil’s einfach Spaß macht, ihnen beim Fachsimplen zuzuhören. Zugegeben, ohne Ironie jetzt, ich lasse mir ganz gerne mal Respekt einflößen, von richtig guten Leuten. Heutzutage trauen sich ja Viele alles Mögliche zu, ich aber habe ein besseres Gefühl, wenn ich weiß wo oben und unten ist.

Meine Lockdown Empfehlung Podcast 32 x Beethoven