codenames

Die Moderne in der Alten Pinakothek


In der Weihnachts- und Familienfreizeit konsumiert man gerne unbehelligt etwas Kultur. Der Andrang vor dem Eingang der Hypo-Kunsthalle hält sich in Grenzen, aber die Exponate im Flyer sind wenig verheißungsvoll. Eigentlich würde er sich lieber gern mal wieder einen originalen van Gogh ansehen, sagt der Sohn. So trotten wir weiter zur Alten Pinakothek – zurück zu den Wurzeln.

Als wir den Saal mit den drei berühmten van Gogh Bildern betreten, folgt uns der Aufpasser und behält vorsichtshalber meinen Sohn im Auge – nicht, dass hier jemand im nächsten Moment einen Klimaprotest hinlegt. Das szenische Foto oben gefällt mir, mein Sohn findet, dass ich mit meiner Ausdeutung maßlos übertreibe. Tatsache ist, dass der Herr mit der Akkreditierung um den Hals recht streng im Securitymodus verharrt. Allein der Dress-Code spricht für eine gewisse Rollenverteilung. Derzeit darf man dem Museumspersonal wohl eine leichte Nervosität unterstellen. Wir sind harmlos, aber das können die ja nicht wissen. Jeder antizipiert seine eigene Paranoia.

Um die Spannung rauszunehmen, könnte ich zum Museumsmann hingehen und ihn beruhigend darauf hinweisen, dass mein Sohn Titus definitiv aus künstlerischem Interesse so nahe an das Gemälde herantritt, weil er Vincent van Gogh schon immer bewundert, ja bereits im Grundschulalter, im Rahmen der Museumspädagogik, an einem Malkurs der Neuen Pinakothek teilgenommen und genau jenes Bild bei der Gelegenheit in kindlicher Manier kopiert habe. Dann stelle ich mir vor, dass mein Gegenüber mir entweder offen den Scheibenwischer zeigt oder unauffällig in sein Revers hineinflüstert um einen Kollegen zu rufen. Albernes Kopfkino, frei nach Woody Allen.

Sorry, in einer erbaulichen Atmosphäre ist mir schnell nach Blödeln zumute, ein kindischer Reflex, zugegeben. Kunsthistorischem Palaver gehe ich am liebsten aus dem Weg. Apropos: in Allens Filmen ist das Kulturgeschwurbel der Upper Class besonders fein parodiert. Im verlinkten Clip kann man belauschen, wie lustig unsere amerikanischen Kunstfreunde van Gogh aussprechen. Ob wir das auch irgendwann mal übernehmen?



Titus vor einem seiner Lieblingsbilder. Im Aufbau erinnert das ein wenig an das Projekt People matching art works des Wiener Fotografen Stefan Draschan, der Menschen im Museum ablichtet, die in irgendeiner Art und Weise zum betrachteten Motiv passen, sei es durch Gestik, Outfit oder Farbgebung. Eine Art sympathischer Resonanz. Vielleicht bleibt man an einem Kunstwerk eher hängen, wenn man darin ein Muster von sich selbst wiederfindet.


PS. 11. Mai – ein Bild zum Geburtstag! Sehr schön!

Soll jetzt aber nicht heißen, dass ich mich nicht gerne über Kunst austausche, andere Sichtweisen kennenlernen will. Sich in die Gedankenwelt seiner Mitmenschen einzufühlen ist nicht leicht, aber immer einen Versuch wert. Einerseits gehört das ja zu unserem Beruf, anderseits ist es einfach ein Gebot der Höflichkeit. Gelegentlich sogar unterhaltsam.

Viele Gesellschaftsspiele arbeiten mit diesem interaktiven Psychokram. Zum Beispiel „Codenames“, das Leon als Weihnachtsgeschenk mitbringt. Wir spielen in Teams, sollen die gegnerischen Agenten enttarnen, müssen aber natürlich die Klarnamen umschreiben, weil der Feind mithört. Das hat eine erstaunliche Dynamik und aktiviert heimlich, still und leise die kommunikative Fantasie. Mehr noch: das Konspirative im Spiel steht modellhaft für die Frage: Warum sagt man nicht einfach, was meint? Mehrdeutige Antwort: Weil die Regeln so sind! Folglich ist man erstaunt, wie kompliziert alles wird, wie viele Missverständnisse aufkommen und wie komisch der andere um die Ecke denkt.

Halt wie im richtigen Leben, hier werden die Regeln auch ständig neu aufgestellt. Manchmal kann man nicht im Klartext kommunizieren, manchmal will man nicht. Dann sagt man’s durch die Blume, über die Kunst oder auf Englisch, gibt seine Botschaften irgendwie kodiert weiter – und riskiert, dass man verdächtigt oder komplett ignoriert wird. Davon lebt die Kunst und daran stirbt sie auch.

Und damit sind wir wieder bei van Gogh. Der womöglich nach seinem Tod lebendiger ist als vorher. Dabei hat seine Kunst keine Geheimnisse¹, sie ist klar und strahlend schön, die Farben so frisch, als wären sie noch nicht trocken. Van Gogh malt die Welt wie er sie sieht, in seiner künstlerischen Übersetzung, aber unverschlüsselt. Es gibt keine Missverständnisse – eine Wohltat.



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¹ Allerdings Woody Allens bezaubernde Filmpartnerin Diane Keaton fühlt ja von van Gogh ausgehend „eine Art mystische Anziehungskraft“ – auch in Ordnung, die darf das ;-)