culture club – members only

Groucho Marx · Alamy Stock Foto
„I don't care to belong to any club that will have me as a member.“
Groucho Marx
Die Vereinigten Staaten haben sich, unter der Führung eines sehr, sehr groben Kerls, entschlossen, mit der „Wokeness“ aufzuräumen. Das ist in seiner Radikalität so dumm wie verständlich, denn die Masse hatte mit Wokeness noch nie was am Hut. Also schlägt das Imperium, bedrängt von den eigenen Idealen, zurück und schwuppdiwupp, ist man in der Entwicklung wieder ein paar Jahrzehnte nach hinten gerutscht. Übergeschnappte Milliardäre streichen kurzerhand zig Milliarden für humanitäre Hilfe und missliebige Integrationsprogramme. Solche krassen Einschnitte sind mir in meiner Lebenswirklichkeit noch nicht untergekommen, aber das will ja nichts heißen.
Auf lange Sicht ist dies ein zwar deprimierendes, aber bekanntes Phänomen. Man kann ja auch nicht behaupten, dass sich die kostbaren Gedanken der europäischen Aufklärung besonders progressiv und geradlinig durchgesetzt hätten. All das hat quälend lange gedauert, und sobald uns jemand den Stöpsel zieht, sinkt das Niveau auch schlagartig wieder. In der Wahrnehmung mancher Zeitgenossen sind dann aber nicht die Stöpselzieher schuld, sondern die anderen, die mit Mühe und Not das Niveau halten wollen. Man stelle sich vor, Robert Habeck würde im Wahlkampf mahnend Zitate von Kant & Co. einstreuen. Viele im Land der Dichter und Denker müssten dann schmählich erkennen, dass sie ihrer eigenen Sprache nicht folgen können. Schuld daran wäre natürlich der Habeck.
Es ist und bleibt ein Problem, dass Menschen mit einer kultivierten Sprache die Dinge nur langsam und beharrlich zum Besseren wenden können, weil Leute mit Stadiondurchsagen seltsamerweise als die wahren Macher gelten, als Typen, die wissen, was sie wollen – auch wenn das oft sehr einfältig ist, was das ebenso gestrickte Publikum naturgemäß nicht merkt. Das Influencer-Prinzip ist so simpel und zuverlässig: „Folge mir, ich bin smart, reich, cool – mehr musst du nicht wissen!“
„Kulturelle Übernahme“ im Herzen der Landeshauptstadt. Wenn sich künstlerischer Symbolismus und Realpolitik überlagern, dann kochen die Gemüter hoch. – Fotovorlage: AdobeStock
Wokeness und Kulturgeplänkel vs Realpolitik
Übrigens bin ich ein eher unzuverlässiger Gefolgsmann der Grünen, denn dafür habe ich der Sozialdemokratie zu viel zu verdanken. Aber den Habeck finde ich wirklich gut. Ansonsten hätte ich im gesamtgrünen Kontext schon die Sorge, aus meiner unsicheren Gefühlslage heraus eine falsch formulierte Frage zu stellen und politisch exkommuniziert zu werden, denn, sorry, manche woken Ansagen gehen mir echt zu weit. Stichwort „kulturelle Aneignung”. Also, ganz kurz:
Im Jahr 2020 erscheint ein bemerkenswertes Buch der feministischen Autorin und Filmemacherin Caroline Fourest,¹ definitiv eine linke Intellektuelle, die sich hier sehr kritisch mit der sogenannten identitären Linken befasst. In ihrem Essay taucht für mich das erste Mal dieser sonderbare Begriff auf und ich mache mich gleich daran, das Gelesene mit Freunden und Bekannten zu teilen, Ergebnis: In meiner privaten Statistik hat vor vier Jahren noch keiner etwas vom Vorwurf der künstlerischen Aneignung gehört und findet die Sache auch sonderbar und befremdlich. Seit nunmehr knapp zwei Jahren – mal wieder die übliche Latenz zum Vorbild USA – wird sich jetzt bei uns empört und gegenseitig ins Wort gefallen. Kulturschaffende auf der einen Seite, vermeintlich Kulturinteressierte auf der anderen – ein elitäres Paralleluniversum.
Das Ganze nervt dann auch beide Seiten, was eben daran liegt, dass man stets die eigene Sphäre zu wichtig nimmt, also definitiv nicht in der Bedeutung einsortiert, die ein solches Geplänkel verdient. Das ewige Missverständnis, Kunst und Kultur mit der sozialen Wirklichkeit gleichzusetzten, führt dazu, dass man sich einerseits über Kleinkram streitet und andererseits die Alltagsprobleme „normaler“ Menschen rigoros ausklammert. Wer sich über die Kunsthistorie annähert, gerät per se in die Irre, wenn er sich etwa vorstellt, das Gesellschaftsleben im Jugendstil habe sich entweder in parfümierten Salons oder in freizügigen Landkommunen abgespielt. Die meisten Städter schufteten zwölf Stunden in Industrie, Handwerk oder Haushalt und lebten zu zehnt in einer Dreizimmerwohnung.
Angesichts der gegenwärtigen Verwerfungen, auch in Deutschland, scheint mir das Kultur- und Identitätsgezänk maßlos übertrieben und nur geeignet, die Fronten zu verhärten. Mit Vokabeln wie Identität, Heimat, Stolz und Ehre bedient man unter Umstanden die übelsten Ressentiments, satt und zufrieden wird man davon nicht. Es wäre also dringend notwendig, pragmatisch vorzugehen und sachlich zu argumentieren, dennoch zeigt der politische Diskurs in den Medien, dass der neuzeitliche Symbolismus in Bild und Sprache immer noch Mittel zum Zweck ist. Die Aufregung um Habecks nächtliche Erscheinung am „Ehrenmal“ in München ist nachvollziehbar, aber übertrieben. Vielleicht gemeint als arrogante Antwort auf Söders Tiktok-Gekasper, leider ein unglücklicher Kulturlapsus. Kunst bedient viele Kanäle, welcher davon funktioniert, merkt man womöglich zu spät.
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¹ Caroline Fourest Generation Beleidigt, Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei.
Über den wachsenden Einfluss linker Identitärer. Eine Kritik
siehe auch: taz-Interview vom 9.11.2020 mit C. Fourest Die beleidigte Generation
Auf der Suche nach der verlorenen Idylle des deutschen Parlaments
Im nördlichen Lichthof des Reichstagsgebäudes ist seit dem Jahr 2000 eine sympathische Kunstidee verwirklicht. Mit Blick hinunter in den Innenhof ist die typografisch-botanische Installation des Künstlers Hans Haacke zu sehen – klar und zurückhaltend zugleich. Das „belehrende“ Element tritt schon deshalb recht angenehm in den Hintergrund, weil die meisten Besucher es wohl nicht als solches verstehen. In der Genehmigungsphase wird darüber allerdings kontrovers debattiert. Was bleibt, ist ein stiller Protest. Ich mag das. Das kleine Biotop dokumentiert: in der Zeit, als das Projekt entsteht, ist die parlamentarische Welt noch in Ordnung, das Nazipack noch außen vor.
Die ikonische Typo von Peter Behrens, freundlich begrünt im Innenhof des Reichstags, bildet ein lakonisches Pendant zum offiziellen Schriftzug über dem Eingangsportal. Übrigens: „Volk“ bezeichnet eine Gemeinschaft von Menschen, die durch Gemeinsamkeiten in Sprache, Kultur, Tradition, Geschichte oder Abstammung verbunden sind. Häufig wird der Begriff auch im Zusammenhang mit nationaler Identität oder Zugehörigkeit verwendet. „Bevölkerung“ bezieht sich auf die Gesamtheit der Menschen, die in einem bestimmten geografischen Gebiet, z.B. einem Land oder einer Stadt, leben, unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft, Sprache oder Kultur. (Foto: HHE)
Und, was machen wir jetzt mit unserem Kulturverein?
Die Perspektive ist gruselig. Unbeholfener Populismus und bis dato unvorstellbare Tabubrüche geben einen Vorgeschmack darauf, was Politiker (!) anrichten werden, die einen trotzigen Willen zur Macht, aber weder Intellekt noch Anstand haben. Als Designer habe ich gelernt auf den Gesamteindruck zu achten, so versuche ich mich auf das Grundsätzliche zu besinnen, denn das scheint ja völlig aus der Mode gekommen zu sein. Wenn das Konkrete abschreckt, dann findet man Trost im Abstrakten. Man kann das gerne auch „Werte“ nennen. Auf diesem Feld habe ich kein Problem, die grundsätzlichen Ausführungen unseres Noch-Vizekanzlers zu verstehen, womit sich wohl manche schwer tun, die von Nebensätzen Kopfschmerzen bekommen.
So entscheide ich mich für die bessere Gesamtwertung. Ob ich im Club nun willkommen bin oder auch nicht, gleich geh‘ ich rüber ins Pasinger Rathaus und wähle den Habeck!