Das Album 65/66



Wie gesagt, einiges lässt sich zur Not aus dem eBay-Backup wiederherstellen. In der Sammlerszene werden zum Teil verrückte Preise verlangt, bei diesem günstigen Angebot konnte ich nicht nein sagen. Und meine fußballgeprägten Söhne sind beeindruckt, vor allem davon, dass der FC Bayern und Gladbach als Aufsteiger gelistet sind. Verrückt, wie genau man sich an manche Figuren und Gesichter erinnert, obwohl das alles wohl ohne jeden Nutzen im Hirn archiviert wurde. Und so bastele ich mir diese Galerie hauptsächlich zum nutzlosen, eigenen Plaisir. Alles in allem ein charmanter Vintage-Look, Papier und nachgedunkelter Klebstoff sind immerhin 50 Jahre alt.

Voilà – es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit!


Die Mannschaften sind im Album ihrer Platzierung im Vorjahr sortiert – eigentlich. Verglichen mit der Tabelle am allerletzten Spieltag, ergibt sich allerdings die Vermutung, dass das Sammelheft etwas zu früh gedruckt wurde. Ich habe mir erlaubt, die tatsächliche Rangfolge abzubilden.

In dieser Saison hatte die Liga noch 16 Mannschaften, Absteiger gab es keine, aber Hertha BSC wurde die Lizenz entzogen und in die Regionalliga zurückversetzt. Für die Hertha nahm Tasmania den Platz Berlins ein. Mit den zwei Aufsteigern aus Süd und West erhielt die Bundesliga ab dann 18 Mannschaften.


Lesezeichen – Bilder vs Buchstaben

Irgendwie scheint meine Mutter wegen des verschusselten Sammelalbums ein schlechtes Gewissen gehabt zu haben; für den unwiederbringlichen Verlust gibt es zu Weihnachten Ersatzliteratur. Bücher sind für mich als leseunerfahrener Drittklässler nicht gerade der wahre Jakob. Die beiden Bücher unten muss ich mir Zeile für Zeile erarbeiten. Der „Flitzi“ ist mein erstes dickes Buch, das ich mit Freude lese und dabei die wichtige Erfahrung mache, den Widerstand der eigenen „Unfähigkeit“ zu knacken. Irgendwann vergisst man das mühsame Buchstabieren und taucht in die Geschichte ein. Am Anfang zählt man noch stolz die eroberten Zeilen, dann kommt die Neugier, dann der „Flow“.

Teile der Erzählung und manche Überschriften habe ich immer noch im Kopf. Wen wundert’s, auch so eine Entdeckung der Langsamkeit. Die erste Überschrift lautete „Treffpunkt Suppenschüssel“, da ging’s um einen naturschönen Bolzplatz, wo der Ball praktischerweise von allen Seiten immer wieder zurückrollt. Sowas hätte mir damals auch gefallen. Wird objektiv kein schlechtes Buch gewesen sein, denn 2018, sehe ich gerade, wurde es als Jugendbuchklassiker noch einmal bei Pretty Good Books neu aufgelegt. Also gleich mal auf die Bestellliste setzen.¹

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¹ gesagt getan: ein schöner Text, aber die miese Druckqualität ist ein misslungenes Reprint-Ergebnis, fotografisch vom Original abgenommen und aufs Taschenbuchformat herunterskaliert. Kommt dann rüber wie ein Raubdruck, ist natürlich keiner, dennoch anstrengend für meine alten Augen. (zum Inhalt siehe PS unten)



PS: Treffpunkt Suppenschüssel

„Zurück nun zu Flitzi, zum Bieberer Berg, zur ,Suppenschüssel‘, dem wohl einzigen Trainingsplatz im westlichen Germanien, in dem die liebenswürdige Frau Natur mit Freuden mitspielt und immer wieder für saubere Rückgaben sorgt!“ – Zitat aus dem Buch


So denn, jetzt habe ich mich vom schlechten Druckbild nicht abschrecken lassen und als alter Sack mein Kinderbuch noch einmal rekapituliert. Interessant ist ja immerhin, wie sich das Pädagogische in der Literatur verbessert oder vielleicht auch nur der Zeit angepasst, gewandelt hat. Sätze wie das obige Zitat stehen für die durchweg positive Erzähllaune im Buch. Alles entwickelt sich nach vorne, die Aussichten sind rosig! Noch ein Beispiel: „Mit der ganz großen Welt, auch mit seinem eigenen kleinen Leben einverstanden, wandert unser Freund zur Scheffelstraße weiter.“

Die Erzählfantasie ist dagegen etwas dürftig und der eher angepasste Flitzi aus dem Jahr ‘66 ist keine durchgeknallte Pipi Langstrumpf, die immerhin bereits 1949 auf Deutsch erschienen war! Aber ein Streber und Duckmäuser ist der Titelheld auch nicht, darauf legt der Autor großen Wert. Der aufgeweckte Knabe macht auf solide Art Karriere, als Hauptschüler, KFZ-Lehrling und Profifußballer. Und damit da auch keine intellektuelle Respektlosigkeit gegenüber Lehrberufen aufkommt, wird abschnittsweise aus dem Berufsschulbuch zitiert, dass man sieht, hier ist durchaus Grips verlangt. Eine gewisse pädagogische Note ist also unverkennbar, alles komplett im Stil der 60er Jahre, deren muffige Aura und spießige Rollenverteilung man am besten nachvollziehen kann, wenn man sich die zeitgeschichtliche TV-Werbung auf YouTube ansieht. Fazit, erstens: kein Grund die Vergangenheit zu romantisieren und zweitens: heute schreibt man bessere Storys.

Überhaupt ist die Annäherung an die Jugend rührend harmlos im Vergleich zu dem, was nun auf dem Markt ist. Man bemüht sich, die Jugend der Fußballfreunde nicht zu vernachlässigen, aber Kinder sind noch lange keine Zielgruppe. Hier wird deutlich, dass mein Fußballalbum und das Flitzibuch genau aus demselben Jahr stammen. Schon der sachliche Aufbau des Fußballalbums oben zeigt, dass man Kinder und Jugendliche noch nicht wirklich auf dem Schirm hat. Alles sehr nüchtern und, wie gesagt, manchmal unbeholfen. Spätere Panini-Alben sind dagegen fast schon Jugendmagazine.

Bereits ab den 70er Jahren werden Kinder dann zunehmend als marktrelevante Zielgruppe von Werbung und Merchandising vereinnahmt. Spontan fällt mir die Buchreihe der „Wilden Kerle“ ein, die in der Generation der Millenials, also meiner Jungs, populär ist. Ziemlich überdreht und auf Verkauf getrimmt. Vom Buch bis zum Kinofilm, jedweder Firlefanz bis zum Radiergummi, die gesamte Grundschulausstattung im Wilde-Kerle-Outfit. War am Anfang witzig und schnell nervig, ein eher aufdringlicher Kommerz. – Da war mir ein Flitzi doch angenehmer.


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*) PS: Der „gefleckte Ball“, wie er anfänglich hieß, ist nachweislich die Erfindung eines gewissen Paul Hasenbach. Das hat erst kürzlich die Recherche von Arnd Zeigler ergeben 24.04.2025, min 12:25. Den Ball gibt es demzufolge schon seit dem Jahr 1957. Das Interesse war seitens der Verbände und TV-Anstalten gleich Null, weshalb Hasenbach wohl kein Patent angemeldet hat. Gemeinerweise wurde der Ball dennoch Anfang der 60er Jahre ohne großes Aufsehen flächendeckend eingeführt und adidas kam 1970 quasi zum Nulltarif zu seinem „Telstar“, dem offiziellen Spielball der WM in Mexiko. So ist einem findigen Mann aus der Eifel eine Millionenlizenz durch die Lappen gegangen.