Dem deutschen Volke
Tanderadei – wir sind das Volk! Ein recht wohlhabendes, innenpolitisch sehr verwöhntes und in der Außenwirkung nicht immer sympathisches Volk, was an unserer unterschwellig schlechten Laune liegen mag. Die schlechte Laune ist föderal aber ungleichmäßig verteilt und wenn man besonders grummelige Volksgenoss*innen fragt, welches andere Land der Erde sich für einen durchschnittlich ambitionierten Lebensentwurf denn besser eignet, blickt man in verdutzte Gesichter. Manch einer beansprucht allein aufgrund seiner Staatsangehörigkeit einen gehobenen Lebensstandard. Eine moderne Solidargemeinschaft erlaubt ja erstaunlich viele Ungeniertheiten und so findet sich immer ein Reklamationsgrund – dem deutschen Volke geht's vielleicht zu gut.
Stets ist da dieser nicht kontrollierbare Nörgelreflex, wie er sich auch im Medienzirkus auslebt, in dem vor allem die Clowns, als satirische Kontrollinstanz des sogenannten Establishments, besonders beliebt sind. Wenngleich ich ein Faible fürs politische Kabarett habe, geht mir jetzt im pandemischen Kontext das kindische Geläster zunehmend auf die Nerven. Man kann sich ja von schrägen oder kritischen Vögeln durchaus intellektuell zerstreuen lassen, sollte jedoch aus dem vorlauten Habitus bitte nicht schließen, sie hätten spontan den politischen Durchblick. Seien wir realistisch, die mit der großen Klappe finden immer ein Publikum, aber im wöchentlichen Vorlauf gegoogelten Weisheiten sind keine Expertise – ist ja auch nur Spaß, nennt sich Narrenfreiheit. Tucholsky mag behaupten, Satire dürfe alles, aber diese an sich schon steile These stammt weiß Gott aus anderer Zeit! Satiriker, Kabarettisten oder politisch dilettierende Influencer der deutschen Gegenwart spielen nicht mit ihrem Leben, nicht einmal mit ihrer Karriere. Im schlimmsten Fall erschreckt sie ein kleiner Shitstorm, infolgedessen manche noch populärer werden.
Dem Volke eine begehbare Kuppel…
Alles natürlich harmlose Eulenspiegeleien im Vergleich zu jener bizarren Zusammenrottung von national-esoterisch-egomanischen Querulanten. Hier verkehrt sich der gesunde Widerspruchsgeist ins krankhaft Blöde. Zu persönlichen Auseinandersetzungen mit solchen Verrückten fehlt es mir an Einsicht, muss ich zugeben. Ich mache schon immer einen großen Bogen um Menschen mit kauzigen Verhaltensmustern, dafür ist mir mein Privatleben zu kostbar. Hier zähle ich auf die Übermacht der Mehrheiten in unserer Zivilgesellschaft, notfalls mag sich der Verfassungsschutz drum kümmern. Es ist ja nicht von der Hand zu weisen und neuerdings auch klar zu beobachten, dass Nervensägen, wenn sie sich über Netzwerke gleichschalten, ihr eigenes Terrorismuspotenzial entwickeln. Hier hört's dann auf. Wenn immer nur die Klügeren nachgeben, regieren am Ende die Dummen.
Momentan haben wir es alle nicht leicht, tatsächlich Alle, rund um den Globus. Wieder stellt sich die Frage, in welchem Land der Erde man sich in der Coronakrise am besten aufgehoben fühlt. Kennt da jemand Leute, die nach Schweden auswandern wollen? Als selbstständiges Unternehmen, das für Kultureinrichtungen und die Tourismusbranche arbeitet, sind wir auch nicht gerade in Partylaune, dennoch beruhigt es mich, wie sich fast alle Bundesbürger*innen – bis auf die Handvoll Deppen – in dieser Krise disziplinieren, ein Einsehen in unpopuläre Maßnahmen haben und auch kapieren, dass Wissenschaft und Regierung nicht detailgenau die Zukunft vorhersagen können.
„Des Glückes Unterpfand“
Am Tag der Deutschen Einheit wünsche ich mir schlicht und ergreifend etwas mehr Zufriedenheit, Geduld und Aufklärung im gesamtdeutschen Charakter. Ich will nicht behaupten, dass unsere Bundesrepublik keine Schwachstellen und Missstände aufweist, unsere politisch Verantwortlichen aber pauschal als korrupt oder unfähig zu bezichtigen, ist absurd. – Mein Resümee nach sechs Jahrzehnten: ich habe in diesem Deutschland sehr wenig negative Erfahrungen gemacht.
27. Juni 1963 in Berlin – drei für Deutschland sehr wichtige Menschen auf einer Rückbank!
Foto: IMAGO / United Archives International
Als junger Mensch unter Willy Brandt sozialisiert und lehrmittelfrei zur Schule gegangen, konnte ich, vom Proletarierstatus völlig unbeeindruckt, meinen Traumberuf studieren. Das hat dann doch eine gewisse, grundsätzliche Dankbarkeit in mir verankert! Darum mag ich dieses billige Politiker-Bashing nicht. Unsere nationale Dauerempöhrung ist fast so dämlich wie nationaler Stolz, niemand kann beeinflussen, in welchem Land er geboren wird. Wie sollte man also auf etwas stolz sein, was dem Zufall überlassen bleibt? Aber man müsste doch froh darüber sein, Glück gehabt zu haben.
PS: Und wer ehrlich wissen will, was unsere Regierung so treibt, der kann ganz legal nah ran ans Parlament. Das Zauberwort heißt „Abgeordnetenfahrt“ – einfach mal danach googeln!