„Die geheimen Verführer“

Taschenbuchausgabe von 1980
Wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, so bin ich mit der Vorstellung sozialisiert worden, dass Werbung ein schmutziges Geschäft ist – was vielleicht etwas mit dem damals schon populären Werk von Vance Packard zu tun hat. Wenn eine Lehrkraft sich auf einen ideologischen Diskurs einließ, war schnell von Manipulation die Rede. Besonders im Kunstunterricht wurde das angeprangert, Frau Tuschinsky warnte uns vor der Gehirnwäsche einer gewissenlosen Konsumgüterindustrie, die uns zu willenlosen Konsumenten abzurichten drohe. Konsumterror und so weiter, das übliche Mantra der Achtundsechziger. Gemessen an dem, was sich heute in den sozialen Medien abspielt, waren die Werbeslogans der Siebziger von geradezu erbärmlicher Harmlosigkeit.
„Die geheimen Verführer“ (The Hidden Persuaders) von Vance Packard gilt als kritische Analyse der Werbeindustrie und ihrer Auswirkungen auf die Gesellschaft. Packard wirft ein grelles Licht auf die Methoden, mit denen Werbetreibende versuchen, das Verhalten und die Entscheidungen der Verbraucher zu beeinflussen, oft ohne deren bewusste Zustimmung. Das „Unterschwellige“ ist also das perfide Geheimnis. Bis heute hält sich die Mär vom Werbespot, der nur für Sekundenbruchteile, stroboskopartig, eine Colaflasche in eine normale Fernsehsendung einblendete, mit dem Ergebnis, dass Hunderttausende Amerikaner wie hypnotisiert zum Kühlschrank tappten. Kompletter Bullshit, heute Verschwörungstheorie genannt, aber immer noch gern erzählt. Selbst Vance Packard, der in seinem Buch maßlos übertreibt, hat sich das verkniffen.
Das Buch machte dennoch Furore mit diversen „Enthüllungen“. Allein der Titel hatte schon etwas Anrüchiges. Als ich zum ersten Mal im Buch las, das ich aus dem Regal meiner älteren Schwester gefischt hatte, machte meine Mutter große Augen. Die dachte, hier ginge es um Sachen, für die ich noch zu jung sei. Da konnte ich sie beruhigen und ihr später altklug erklären, weshalb sie beim Kuchenbacken per Backmischung, zusätzlich noch ein Ei unterrühren musste. Nach Vance Packard diene dies nur der Beruhigung ihres „Hausfrauengewissens“. Normalerweise wäre es ein Leichtes, das bereits in der industriellen Rezeptur zu berücksichtigen. Amerikanische Konsumpsychos hatten sich das so ausgedacht – angeblich. Ein empörter Geist nimmt das dennoch begierig zur Kenntnis.
Oben im Bild unsere häusliche Ausgabe von '73, der letzte Schrei in Sachen Kapitalismuskritik. Der eigentlich besonnene Klappentext entspricht ganz dem damaligen Zeitgeist:
„Wussten Sie, warum Milch – „seelisch befrachtet“ ist? Weshalb Hausfrauen in Selbstbedienungsläden von rot verpackten Waren unwiderstehlich angezogen werden? Wieso selbst zahlungskräftige Männer sich für die Limousine entscheiden, obwohl das ausgestellte Kabriolett sie zum Autokauf in den Laden gelockt hat ? Ob eine Ware beim Kunden „ankommt“, hängt oft von solchen Fragen ab. Psychologen und Marktforscher suchen sie zu beantworten. Wie, das schildert Vance Packard. Er beschreibt eindringlich, was auf uns zukommt, wenn Reklamefachleute Erkenntnisse der modernen Psychologie auswerten, deren Nutzanwendung nicht immer ungefährlich ist. Er weist nach, in welchem Ausmaß unser Denken und Fühlen schon heute „unterschwellig“ von der Werbung beeinflußt wird. Bei uns haben die „geheimen Verführer“ ebenfalls begonnen, in private Lebensbezirke einzudringen. Vance Packards Buch, das in der amerikanischen Öffentlichkeit sensationelles Aufsehen erregte, wird daher auch den deutschen Leser nachdenklich stimmen.“
Man kann Vance Packards Lektüre zum Einstieg in die volkstümliche Skepsis mit Interesse lesen, weil er recht plakativ zeigt, wie Werbung nicht nur Produkte verkauft, sondern auch Werte, Lebensstile und sogar Identitäten formt. Packard untersucht dabei eine Reihe von Manipulationstechniken, eben die von der Verwendung unterschwelliger Botschaften bis hin zur Schaffung künstlicher Bedürfnisse. Besonders kritisch betrachtet er die Ausnutzung von Ängsten und Unsicherheiten der Menschen, um sie dazu zu bringen, Produkte zu kaufen, die sie eigentlich nicht brauchen. Dabei zeigt er auf, wie Werbung oft auf tief verwurzelten menschlichen Instinkten wie dem Wunsch nach Zugehörigkeit oder dem Streben nach Status basiert. Aber auch hielt gilt nach wie vor, wer auf dumme Sprüche hereinfällt, ist selbst schuld. Eine simple Alltagserfahrung.
Da das Werk beileibe keine wissenschaftliche Studie, sondern eher eine Aneinanderreihung von Beobachtungen und Behauptungen ist, bleibt es nach wie vor umstritten, so plausibel das meiste auch klingen mag. Auf Deutsch derzeit nur antiquarisch erhältlich.
__________
Vance Packard, Die geheimen Verführer, Ullstein
zurück zu Propaganda – Teil 3