Die Leichtigkeit des Designs

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„Um wirklich Meister des Bogenschießens zu sein, genügen technische Kenntnisse nicht. Die Technik muss überschritten werden, so dass das Können zu einer ‚nichtgekonnten Kunst’ wird, die aus dem Unbewussten erwächst.“ – Herrigel, Zen in der Kunst des Bogenschießens¹



Virtuosität hat sicher viel mit Perfektion zu tun, nicht zu verwechseln mit Pedanterie. Erfahrene Gestalter*innen arbeiten zwar mit zielführender Präzision, zeitgemäßes Design funktioniert aber idealerweise auf die denkbar einfachste Art. Das Meisterliche wirkt darum schlussendlich immer leicht und unbekümmert. Wer‘s drauf hat, kann sich locker machen.

Manch ein bemühter Buchstabenmensch kratzt sich aber am Kopf, wenn nicht alles bis in die letzten Untiefen der Logik stimmig durchgestaltet ist. Oder konsistent ist, wie es heute heißt. Dabei ist es gerade diese unspezifische Schlamperei, die einer natürlichen Situation am ehesten gerecht wird, denn ein tiefgründiges Kommunikationsangebot wird nie und nimmer mit der entsprechenden Wertschätzung konsumiert. Wenn schon Goethes Faust in den meisten Fällen nur quergelesen wird, wie albern ist es dann, von der Konzeption eines Werbeflyers zu erwarten, dass jede typografische Auszeichnung zu 100 Prozent begründet ist? Eine Typografie ist dann richtig, wenn der Inhalt leicht verständlich ist und gerne gelesen wird. Dann kommt man an einen Punkt, wo man gar nicht mehr gefragt werden will, warum das jetzt so und so gemacht wurde, weil man weiß, dass es so gut ist und so bleiben soll. Weil es im Kleinen etwas vom Zufälligen, vom unvollkommenen Leben an sich wiedergibt und höchstwahrscheinlich deshalb so lebendig wirkt.

Noch mal kurz zurück auf die methodischen Weisheiten des Zen Buddhismus, von denen ich, zugegeben, so gut wie nichts weiß, aber eben die ein oder andere Formulierung sehr treffend finde. Die entspannte Zurückhaltung und Versöhnlichkeit im künstlerischen Tun gefällt mir, weil sie Schönheit im Unvollkommenen sucht, zweifellos nicht ohne Ehrgeiz, aber in Bescheidenheit. Dazu gehört auch – das kann man wunderbar in Zengärten beobachten – ein Hang zur Asymmetrie, die jede Anwandlung von Monumentalität formal zerstreut. Das Gegenteil der klassischen Perfektion und damit ein sehr schönes Strukturbild für zeitgemäße Typografie.


Zengarten – zeitlose Ordnung und Ästhetik. Sound & Footage: AdobeStock

Mit aller Erfahrung komme ich immer mehr zu der Überzeugung, dass es kein „tiefgründiges“ Kommunikationsdesign geben kann, denn es sind die oberflächlichen Signale, die überhaupt erst einen Kontakt herstellen. Was nicht auf einfachste Art signalisiert, suggeriert oder informiert, verrauscht ohne Wirkung. Für ein optimales Ergebnis ist es also nicht zwingend erforderlich, dass alles im tiefsten Inneren perfekt sitzt, nur eines sollte immer makellos sein: die Oberfläche. Dann funktioniert auch das Prinzip der Einfachheit.

Einfachheit setzt wiederum voraus, dass man auch weniger will. Dass man, zumindest im ersten Ansatz, seine Ansprüche² auf das Wesentliche beschränkt. Und damit tut sich der mit Kommunikation beauftragte, aber ebenso selbst an Reizüberflutung gewöhnte Mensch schwer. Das Gute liegt zwar oft sehr nah und ist idealerweise auch noch einfach. Jedoch die Scheu vor dem Naheliegenden und die Angst vor dem Vorwurf, es sich zu einfach gemacht zu haben, ist immer präsent. Das größte Hemmnis ist dann, sich das Einfache in aller Konsequenz zu trauen. Am Anfang einer Kommunikationsstrategie muss also ein Konsens darüber gefunden werden, auf was alles verzichtet werden kann.

Wer andere begeistern möchte, muss ihnen ein schnelles Erfolgserlebnis ermöglichen. Und dem steht jeder Anspruch nach Tiefgang im Weg. Upps, solch pauschale Bemerkungen erschrecken den Bildungsbürger, denn das genaue Gegenteil davon will beispielsweise auch unser Schulsystem. Mit diesem überkandidelten Ansatz haben wir schon immer den humanistischen Bildungsnachwuchs ausgesiebt und entsprechend kleingekriegt. Was dabei an Talenten unter die Räder gekommen ist? Kommunikation hat viel mit Pragmatismus und sehr wenig mit Idealismus zu tun.

Dass wir uns genussvoll einem einfachen, zielgenauen Kommunikationsdesign zuwenden können, erschwert letztlich und ironischerweise die Softwareindustrie, die uns natürlich nicht jahrelang unbehelligt arbeiten lässt, sondern stets mit neuen, kapriziösen Features ablenkt. So werden wir irgendwann wieder im ornamentalen Overkill des 19. Jahrhunderts ankommen. Obwohl wir moderne Massenmenschen sind, gebärden wir uns wie Königskinder im Märchen.



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¹ Hab‘ immer noch eine zerlesene, kleinformatige Zeichenschule im Regal, die ich mir in der Oberstufe gekauft habe. Darin steht auch folgendes Zitat aus dem Zen-Büchlein: „Weit davon entfernt in dem Schüler vorzeitig den Künstler wecken zu wollen, hält es der Lehrer für seine erste Aufgabe, aus ihm einen Könner zu machen, der das Handwerkliche souverän beherrscht.“ Dieser Satz hatte mich spontan motiviert. Denn von den Kunstakademien der Siebziger Jahre war das genaue Gegenteil zu hören. Hier ging es darum, möglichst alles hinter sich zu lassen. Wenn nichts mehr gilt, wenn Vertiefung in die Materie obsolet ist, wenn schlichtweg alles übersprungen werden soll, dann ist das nicht die Zukunft, sondern das schnelle Ende. So war zumindest meine Befürchtung. Über das Zeichnen lande ich dann beim Design, dieser wundersamen „nichtgekonnten Kunst“ – zum Glück, sonst wär's mir wohl schlecht ergangen.


² Die Sache mit Anspruch und Oberflächlichkeit kann man gerne völlig falsch verstehen. Mit einer zielgerichteten Vereinfachung ist natürlich keine kulturelle Anspruchslosigkeit gemeint, sonst hätte ich mir das Zen-Brimborium ja sparen können. Ich komme drauf, weil – da bin ich gerade fertig mit meinem Text – mein Freund Marcus ein Zitat liefert, dass genau den wunden Punkt trifft:

„Wer keinen Anspruch mehr anbietet, schafft keine Nachfrage nach Anspruch. Weshalb er selbst irgendwann keinen Anspruch mehr hat, Anspruch anzubieten.“
Christian Schüle, Schriftsteller und Essayist, in seinem Hörfunk Essay „Radio als Kulturresonanzraum“
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