Die Theorie der Dummheit
KI-Foto: AdobeStock
„Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit wie die Dummheit“, so Ödön von Horváth in der Einleitung zu seinen berühmten „Geschichten aus dem Wiener Wald“. Der österreichisch-ungarische Literat verstand Dummheit als Stumpfheit und narzistische Kommunikationsstörung, die sich in selbstgefälligen Phrasen und absurder Logik mitteilt. Man würde sich wünschen, so schlimm wie zu Horváths Zeit wäre es heute nicht mehr – leider ist es viel schlimmer.
Am Ende bekommt jedes Land die Regierung, die es verdient, heißt es zynisch. In Demokratien bekommt das Volk manchmal sogar die Regierung, die es haben will. In besonders dramatischen Fällen stellt sich aber die Frage, wer dann das Volk vor sich selbst oder zumindest die eine Hälfte vor der anderen schützt, oder abstrakter formuliert, wer ein auf Freiheit, Gleichheit und Solidarität angelegtes Gesellschaftssystem vor grobem Missbrauch schützt. Nun haben sich in den USA die größten Kotzbrocken an die Spitze dieser übergeschnappten Maga-Bewegung gesetzt und das Volk ist im Freudentaunmel. Wie konnte man diese eklatante Rückständigkeit nur übersehen?
Fangen wir also noch einmal ganz von vorne an und beweisen Horvaths literarische Behauptung auf einfachste Art und Weise, sozusagen niederschwellig und anhand einer animierten Graphic Novel für Schulkinder. Das kurze Video erzählt von dem im KZ ermordeten Theologen Dietrich Bonhoeffer und seiner in der Haft entwickelten Theorie der Dummheit.
Zielgruppe sind Schulkinder, daher sind die Cartoons vielleicht etwas zu niedlich – Quelle: Sprouts Schools
Frustrierende Erkenntnis: Gegen Dummheit ist kein Kraut gewachsen. Immerhin, die Psychologie tröstet uns etwas, wenn sie den Grund für die Verzweiflung mit wissenschaftlichem Eifer herausarbeitet. So weiß man wenigstens, dass man solch missliche Tatsachen stoisch ertragen muss. Was „leider Gottes“ einen religiösen Unterton hat.
Endzeit der Aufklärung?
Im Windschatten unserer Wissenschaften und vor allem unseres Kunst- und Kulturbetriebes machen wir uns selbst etwas vor, wenn wir glauben, unsere heilige Aufklärung sei noch der Motor einer besseren Gesellschaft. Längst verfügen die mehrheitlich dummen Kräfte über die billigsten, aber mächtigsten Medien, um alles kurz und klein zu schlagen. Dies geschieht buchstäblich ohne Sinn und Verstand, eben weil der dumme Mensch sich seines Handelns nicht bewusst ist.
Schwarzmalerei ist hierbei eine reine Vorsichtsmaßnahme, denn wer hat nicht schon einmal beobachtet, dass Diskussionen, sei es im privaten Kreis oder in öffentlichen Talkshows, unverhofft von dummen Wortführer*innen dominiert werden? Besonders unangenehm wird es, wenn die Materie etwas komplizierter ist. Die Situation ist oft ähnlich: Wer in einer illustren Runde ein Thema mit zu vielen Nebensätzen erörtert, wird schnell von selbsternannten Checkern abgewürgt. Man könnte auch sagen, dass man einem besonnen Argumentierenden gerne ungeniert in die Parade fährt, um trotzig und stolz zu behaupten, eigentlich sei alles ganz einfach, man müsse nur dies und jenes tun usw. blablabla – und aus die Maus.
Bei wichtigen Sachen ist die Lage aber oft nicht einfach, sondern kompliziert, beispielsweise beim Klimawandel und der damit verbundenen Energiewende. Solche Dinge sind definitiv nicht auf Bildzeitungsniveau zu lösen, logisch. Und hier setzt dann die von Bonhoeffer beschriebene Dynamik ein, wenn manche unserer Zeitgenoss*innen ihr eigenes, vorlautes Verhalten geradezu sexy finden, als Erwachsene ihren kindischen Trotz reaktivieren und ungeniert herumtrompeten. Als hätte man sich von der Last des viel zu kompliziert denkenden Erwachsen endlich befreit, wo doch eigentlich alles ganz einfach sei und man müsse lediglich dieses oder jenes, usw. …
Just do it! heißt es bei Nike. Ob sich mit dieser Mentalität ein Atomkraftwerk betreiben lässt?
„Dummheit schafft Katastrophen.“
Dieses plakative Zitat ist die Headline zu einem Interview der Frankfurter Rundschau mit dem Umwelthistoriker Geoffrey Parker, vor vielen Jahren erschienen. Fazit: „Die Geschichte zeigt, dass menschliche Dummheit aus einer Krise eine Katastrophe macht – der Klimawandel führt zu einer Krise, aber menschliches Handeln führt dann zur Katastrophe“.
Weil das so ist, sind die Probleme der Zukunft eigentlich schon deshalb schwer zu bewältigen, wenn man prinzipiell keine Probleme haben will. „Ich will aber nicht!“ schmollt das innere Kind und steckt sich die Finger in die Ohren. Wer jetzt in der Politik Zukunftspläne schmiedet, muss seinem Volk versichern, dass es auf keinen Fall Nachteile haben wird, dass alles ohne Pannen abläuft und alle reich und glücklich werden. Und das, innerhalb einer Legislaturperiode. Pioniergeist sieht anders aus. Ich frage mich dann immer, wie es jemals möglich war, eine Stadt wie Venedig zu gründen?
Das ganze Ausmaß der zeitgeschichtlichen Tragödie zeigt sich in den vielen absurden, dummen Verschwörungserzählungen, die zu widerlegen wertvolle Energie abzieht, jene Energie und Willenskraft, die man dringend bräuchte, um sich innerhalb der Gesellschaft positiv zu begegnen und weiterzuentwickeln. Eine dumme Idee, die sich im Netzwerk von vielen dummen Menschen vervielfältigt, also eine echte Idiotie zu widerlegen, verschlingt nur unsinnige Argumentationskraft, weil Idioten per se nicht zuhören wollen. Die selbstgefällige Dummheit ist das größte Hemmnis für die Entwicklung der Menschheit. Am Ende schlagen die Zivilgesellschaften ihre kostbare Zeit vor allem mit Lügen und Schwachsinn tot. Die USA sind da zunehmend ein schlechtes Vorbild.
D-Day November 6, 2024¹
Und nun heute dieses weltpolitische Dummheitsdesaster. Man hat es kommen sehen und dem Ganzen viel Aufmerksamkeit und differenzierte Analysen vorangestellt. Leider ist hier der Sachverhalt auf tragische Weise tatsächlich wirklich simpel: Der verstorbene Peter Glotz, eine kluge SPD-Größe aus besseren Zeiten, hat einmal gesagt:
„Warum eine Intrige vermuten, wenn Dummheit als Erklärung ausreicht?“
__________
¹ Bin heute alleine im Büro und muss meinen Mörderfrust irgendwie in eine Form bringen.
PS am 10.11.2024 – Eine Warnung!
Die Evangelikalen und sonstige religiösen Nationalisten in den USA, die allen Ernstes den Scheißkerl Trump als ihren Messias feiern, haben gerade einen Kinofilm – auch mit prominenten deutschen Schauspielern – produzieren lassen, in dem sie die gefälschte Lebensgeschichte Bonhoeffers auf infame Weise als Propaganda für ihren eigenen Faschismus missbrauchen. Dummdreist, anders kann man das nicht nennen. Hoffentlich kommt er nicht auch noch in den deutschen Verleih.
siehe ARD Kulturkampf um Widerstandskämpfer