Drive My Car

Alter Volvo auf der Rheinfähre mit Drachenfels
Man bildet sich eine Meinung über die progressive Welt im Allgemeinen stets in Bezug auf die eigenen Bedürfnisse im Speziellen. Und geht seinen Ansichten dennoch selten auf den Grund, meistens nur gezwungenermaßen, also im konkreten Fall, wenn etwas kaputtgeht, das man nötiger hat, als man sich eingestehen will – beispielsweise ein Auto. Auch wenn man einen völligen Verzicht in der Theorie nie kategorisch ausschließt, weil Verzichtserklärungen im modernen Sprachgebrauch gerne mal als kokette Floskel der Selbstlosigkeit eingestreut werden.
Das Gerede ist aber keinen Pfifferling mehr wert, wenn man auf der Autobahn merkt, dass die Kiste nicht mehr zieht und zum Hohn auch noch hinten rausqualmt. Ab diesem Moment gerät der Alltag etwas durcheinander und kommt dann nahezu zum Erliegen, wenn die Werkstatt von weiteren Investitionen in den alten Schweden nüchtern abrät. Wie begegnet man einem hochmanipulativen Markt, der sich den Kriterien strategischer Vernunft bewusst entzieht?
Irrationalität als Prinzip
Das Automobil ist der Klassiker der Unvernunft. Solange die Systeme der eigenen Alltagsversorgung reibungslos funktionieren, beteiligt man sich rational an Diskussionen über Elektromobilität und den Zeitplan für das Aus des Verbrennungsmotors. Die Thematik ist jedoch schnell vom Tisch, wenn man von heute auf morgen ein neues Auto braucht. Dann ist alle Theorie grau und man ist von seiner eigenen Charakterflexibilität überrascht. Schnell komme ich zu dem Ergebnis, dass man, wenn man nur schäbig genug wäre, sich für einen Verbrenner zu entscheiden, zumindest einigermaßen günstig davonkäme. Leider zu früh gefreut. Trotz des industrieseitig beklagten Absatzmangels bietet sich seltsamerweise kein Schnäppchenmarkt. Möglicherweise liegt es daran, dass ein Auto oberflächlich betrachtet zwar ein Fahrzeug ist, insgeheim ist es ein Kunstwerk.
Also gehen wir diesmal mit spröder Vernunft an die Sache ran um am Ende dann doch eine eher ästhetische Gefühlsentscheidung zu treffen. So, wie sich die deutsche Automobilindustrie den idealen Kunden vorstellt. Am Ende stehen zwei Produkte zum selben Preis zur Disposition, von denen das eine deutlich schöner ist als das andere. Laut Raymond Loewy ist es selbstverständlich so, dass man sich reflexartig gegen das hässliche Entlein entscheidet. Verlässliche Designerregel: Über gewollt vernünftige Kaufentscheidungen ärgert man sich später vielleicht, denn schnell ist der Grund für den öden Pragmatismus vergessen. Das Schöne hingegen genießt man dann ausdauernd.
Wenn die Lieblingsjahreszahl schon vergeben ist, dann wenigstens das TR …
Drei Nummernschilder und ein Einhorn
Die Münchner Zulassungsstelle ist eine Musterbehörde, ja echt. Ich habe den Eindruck, die jungen Mitarbeiter*innen sind da alle glücklich über ihren coolen Job. Kein Gedränge, kein Münchner Grant, statt dessen freundlicher Smalltalk, „Servus – was kann ich für Sie tun?“ usw. Dann folgt die geduldige Abfrage des Wunschkennzeichens. Die meisten haben ja eins, manch einer regt sich jedoch darüber auf, dass Menschen sage und schreibe 10 Euro extra für einen solchen Quatsch ausgeben. Fand ich früher auch albern, aber inzwischen finde ich die private Buchstaben- und Zahlenmystik ganz sympathisch. Man erkennt die Autos der Freunde und vergisst auch sein eigenes Nummernschild nicht. Außerdem habe ich, wie gesagt, keinen großen Drang mich zwanghaft ins neutral-Sachliche umzuerziehen, wenn ich darin nicht wenigsten noch einen kleinen emotionalen Mehrwert sehe. Denn ein neutrales Gefühl ist dasselbe wie gar kein Gefühl. Fast so schlimm wie Humorlosigkeit.
Zum Glück scheint es auf der Zulassungsstelle Humor zu geben. Während man untereinander entspannt plaudert, hat die Kundschaft Gelegenheit, ihre lyrischen Buchstabenrätsel nacheinander aufzuschreiben, bis eines davon genehmigt ist. Plötzlich springen alle Sachbearbeiter*innen wie auf Kommando auf und recken ihre Köpfe aus den Fenstern gegenüber. Was da jetzt passiert sei, will ich wissen. Zwei antworten unisono, da draußen stünde ein De Lorean, so selten wie ein Einhorn! Schade, ich müsste über den Tresen springen, um auch einen Blick darauf zu werfen. Schließlich bin ich ein bekennender Fan der Zurück-in-die Zukunft-Trilogie. Endlich die Nummernschilder unterm Arm schaue ich draußen nach dem De Lorean. Leider schon weg – ein scheues Einhorn eben.
Okay, momentan ist nicht viel los. Andere liegen jetzt gerade irgendwo am Strand, unsereins freut sich über die Behaglichkeit einer Kfz-Zulassungsstelle. Das ist noch nicht bedenklich, nur etwas eigentümlich, und interessiert ja auch keine Sau. Aber, was wollte ich sagen – gerade mal mit dem neuen Schlitten gefahren. Fühlt sich gut an.
PS: In der Langeweile lauert genauso das Chaos wie im Trubel. Privat notiere ich mir hier, dass ich tagelang vergeblich einen anvertrauten, scheißteuren Funkschlüssel suche, bis durch Zufall ein aufmerksamer Nachbar das Ding* irgendwo im Gras entdeckt. Zur selben Zeit bleibt unser Jüngster an einer sehr heiklen Stelle auf der Autobahn liegen und erlebt eine kleine Abschlepp-Odyssee. Letztlich übersteht man alles, weil es viele nette Menschen gibt und das Glück einen erstaunlicherweise nie wirklich verlässt. Last but not least: Good Vibrations!