„Galoppierend oder fliegend“


Der Pegasus ist eine uralte klassische Allegorie und aktuell immer noch ein wunderbares Fabeltier. Obwohl ich mit Pferden nicht viel am Hut habe und auch kein großer Lyrikexperte bin, habe ich durch Heines Verse in „Atta Troll – Ein Sommernachtstraum“ in dem geflügelten Ross ein sehr poetisches Freiheitssymbol gefunden. Vor allem in einem Vierzeiler¹ habe ich mein künstlerisches Mantra entdeckt und darin, zumindest während des Studiums, eine fröhliche Antriebskraft gesehen.


Vorzeichnungen aus der Studentenzeit: Auch ohne KI versuche ich, den Pegasus mit einem Centaurus zu kreuzen – heraus kommt ein Wolpertinger. Die Poesie mit besonderer Wehrhaftigkeit auszustatten, erweist sich als reichlich naiv. Ich habe noch eine ganze Mappe voller lustiger und schräger Fehlversuche zu diesem Thema.



Als Student benutze ich diese Verse, ganz bibliophil, als Prolog für meine Abschlussarbeit, weil mich diese ironisch erhabene Nutzlosigkeit besonders freut und mich von dem Druck entlastet, unbedingt etwas Sinnvolles aus meinem Leben machen zu müssen. Später würde ich noch genug Gelegenheit haben, mich pragmatisch zu geben und gelegentlich auch zu resignieren. Am Ende des Studiums, vor dem Berufsleben, einfach noch ein paar unbekümmerte Wochen genießen, alles in der Erwartung, dass irgendwann Schluss ist mit lustig.


Eine Auswahl kritisch-satirischer Gedichte mit 6 llustrationen

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¹ „Selbstbehauptungs“-Mantra mit vier Zeilen ;-)

Fabelwesen im Realitätscheck

Inzwischen gehe ich fest davon aus, dass es keine Drachen und Trolle aber auch keine guten Feen gibt. Man darf also froh sein, dass das Bedrohungspotenzial gering ist, muss dafür aber verkraften, dass es grundsätzlich im Leben keine Magie gibt. Man mag sich das einbilden, wenn man unverhofft Glück hat, aber hat man Pech, führt man das kaum auf Zauberkräfte zurück. Und schon ist man emotional wieder auf Entzug. Aberglaube, Esoterik und eine diffuse Verschwurbelung haben leider wieder Konjunktur. Wenn, beispielsweise in Teilen Skandinaviens, ernsthaft an Lokalgeister geglaubt wird, finde ich das eher gruselig als charmant. Andererseits glaube ich, dass ein Kuscheltier-Einhorn der kindlichen Psyche durchaus einen liebevollen Dienst erweist. Für Erwachsene sind klassische Mythen und Kunst dann so eine Art rezeptfreies Methadon-Programm.

Als Motiv der Kunstgeschichte kommen Pegasus und Einhorn eigentlich recht selten vor, wobei das Einhorn im Mittelalter kein Abkömmling des Pferdes, sondern, viel kleiner von Gestalt, eher einem Ziegenbock ähnelt. Vom tapferen Schneiderlein weiß man, das dieses Einhorn sehr angriffslustig und lebensgefährlich war, sonst bräuchte man ja nicht tapfer sein, beim Einfangen. Erstaunlich, dass Einhörner dann irgendwann zum ätherischen Zauberpferd und Sehnsuchtssymbol werden, von dem alle kleinen Mädchen träumen.²

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² Bekannt ist die charmante Reaktion einer Behörde in Los Angeles auf die Anfrage der kleinen Madelaine, die sich nach einer Genehmigung für die Haltung eines Einhorns erkundigt hatte. Für den Fall, dass sie tatsächlich ein Einhorn fände, bekam das Mädchen eine Haltungslizenz unter folgenden Bedingungen: Es müsse für ausreichend Sonnen- und Mondlicht sorgen, und das Horn einmal im Monat mit einem weichen Tuch polieren. Der Glitter, mit dem das Tier gelegentlich bestreut wird, müsse ungiftig und biologisch abbaubar sein und mindestens einmal die Woche solle das Einhorn mit einer Wassermelone gefüttert werden.– Ich liebe diese amerikanische Ironie. Wenn man nicht wüsste, dass es – auch in unseren Regionen – Menschen gibt, die allen Ernstes an Einhörner glauben. Schwer zu sagen, wann der Spaß aufhört? Ich finde, die kalifornische Behörde hat das einigermaßen genial gelöst!



Links: Aubrey Beardsley, Puck and Pegasus – Bildquelle WikiArt Visual Art Encyklopedia
(siehe dazu Beardsley at Tate Britain)
Rechts: Meister der Einhornjagd, Das Einhorn in Gefangenschaft, um 1500 – Bildquelle WikimediaCommons


Ein fliehender Pegasus

Kaum jemand verkörpert die Kunstfreiheit aus obigem Vierzeiler so sehr wie Aubrey Beardsley, der geniale Jugendstilkünstler, Illustrator und Dichter. Er, der schon früh weiß, dass er nicht alt werden wird, hat natürlich allen Grund sich über Konventionen hinwegzusetzen, quasi galoppierend die Flucht nach vorn anzutreten, zu provozieren, wo es nur geht, um auf diese Weise schnell berühmt zu werden. Kein Dandy, auch wenn er sich so gibt, sondern ein Workaholic, der Tag und Nacht arbeitet, in einem unglaublichen Tempo, sonst würde er nicht ein derart imposantes Werk hinterlassen, mit nur 25 Jahren Lebenszeit.

Auch Beardsley hat den Pegasus meines Wissens nur ein einziges Mal gezeichnet. Das Motiv findet sich allerdings wiederholt auf Zeitschriftentiteln und als Vignette auf Büchern. Das poetische Fluchttier in Kombination mit dem listigen Kobold aus dem Sommernachtstraum gibt dem Ganzen eine besonders bizarre Spielart. Womit wir wieder bei beim oben erwähnten Versepos wären, dessen Untertitel mein Freund Heine als erster bei Shakespeare gemopst hat. Schon erstaunlich, wie eine vermeintlich funktionslose Schönheit in Bild und Sprache als kostbares Lebenselixier weitergegeben wird und daher gar nicht so unnütz sein kann ;-)

Wer in Bildarchiven nach Flügelrössern oder gar Einhörnern sucht, wird gnadenlos mit KI-generiertem Kitsch zugeballert. So werden selbst seltene und scheue Tiere schnell zur Plage. KI-Metamorphosen haben ihre eigene Dynamik, die Bildredaktion wird zum Panoptikum, in dem nun auch Menschen zu Fabelwesen verquirlt werden: endlos geklonte Schießbudenfiguren, Deep-Fakes, Muster ohne Wert. Wie nun das Virtuelle, das vielleicht einmal die Welt unserer Träume war, also immer blöder wird und damit unsere gesunde Fantasie geradezu krank macht, umso wohltuender ist dann doch die reale Schönheit direkt vor unserer Nase.


Stadtpark Pasing, 23. Mai 2024, 09:57 Uhr – Willkommen zurück im wahren Leben!


Wenn ich derzeit morgens an diesem Klatschmohnfeld vorbei zur Arbeit gehe, treffe ich immer Menschen, die ganz versonnen mit ihren Smartphones davorstehen und in aller Gemütsruhe das weite Feld in Rot fotografieren, …

Aus dem Nichts eine Blumenwiese, gedacht als Brachfläche, schön und ökologisch sinnvoll zugleich. Wieder so ein wirkmächtiges, weil echtes Bild, an das man sich den ganzen Tag gerne erinnert und das als Nachbild des Abends als friedvolle Einschlafhilfe nützlich sein kann.



Trilogie der Fabelwesen – Teil 1 Rinocerus – Teil 2 Pegasus – Teil 3 Liverbird