„Gleichgewicht“

„Gleichgewicht“, Collage mit 2 Radierungen …


Einige kleine Schnitzfiguren, eine größere Tuschezeichnung der Partenkirchner Ludwigstraße und ein Exponat ihrer letzten Ausstellung sind uns von Marie geblieben. Die Arbeit „Gleichgewicht“ hat nun einen schönen Platz gefunden, neben der Skulptur von Daniel Eggli, die wir von ein paar Jahren beim gemeinsamen Besuch in einer Münchner Galerie erworben haben. Auch so eine gute Erinnerung, dieser teure Kunstkauf, trotz Corona-Kalamitäten – damals ist irgendwie auch ein klitzekleiner Teil von Maries Seele in diese stille Figur hineingehüpft und macht sich seitdem bemerkbar.


… im Vordergrund: „Mädchen auf Stele “ von Daniel Eggli.

Die Sphinx an der Wand

Maries Collage „Gleichgewicht“ bleibt mir auch nach langem Abwägen ein Rätsel. Was ich verstehe: Bildende Kunst ist immer auch ein Kommunikationsangebot, ein Bemühen um den Dialog, um ein wohlwollendes Feedback. So unzugänglich ein Werk auch sein mag, möglicherweise ist darin der Wunsch verbaut, dass man nach seinem Sinnen und Trachten gefragt wird, seine Botschaft erklären darf. Arrivierte Künstler*innen streiten das gerne ab. Eine heranwachsende Künstlerpersönlichkeit aber möchte sich bemerkbar machen, wahrgenommen und gefragt werden. Es wäre so leicht gewesen, jetzt ist es zu spät. Da wir nun nicht mehr fragen können, übe ich mich in Geduld, stehe vor dem fragilen „Mapping“ wie vor einer Ermittlerwand und warte auf eine Eingebung.

Schon seit einiger Zeit war Marie wohl damit beschäftigt, ihr Leben aufzuräumen, wie es in der Trauerrede hieß. Reicht das für einen zaghaften Deutungsansatz in Richtung Struktursuche, Ordnung und Balance? Auf diese Arbeit bezogen hieße das: Dinge, die mehr oder weniger zufällig entstanden sind, fügt sie in eine eigene Ordnung, stimmig, in sich austariert, aber durchaus mit labilen und unlogischen Verbindungen. Vernunft, Gefühl, Unvernunft und Zufall: so arbeitet man im Flow. Wir wissen, dass Marie wohl mitunter an ihre Grenzen gegangen ist, rund um die Uhr fleißig in Job und Ausbildung, immer aktiv. Aber wir kennen ihre aktuelle Stimmung nicht. Dur oder Moll? Auch darüber ließe sich Kunst zuweisen. Letztlich fehlt uns das klärende Vorzeichen, bei einem derart positiven Naturell besteht indes kaum Anlass, von etwas Negativen auszugehen. So bleibt mir nichts anderes übrig, als mich jeden Tag aufs Neue zu fragen, was und ob das überhaupt etwas zu bedeuten hat? – Und begnüge mich heute damit, dieses Relikt sorgsam aufzubewahren.

Schön, wie es so fein ordentlich an der Wand hängt – allein die formale Ästhetik beglückt das Herz. Ein Gedenk- und Meditationsbild für die innere Balance.

Am Geburtstag seiner früh und überraschend verstorbenen Tochter, fast zehn Jahre nach ihrem Tod, schreibt Sigmund Freud darüber in einem Brief an einen Freund:

„Man weiß, dass die akute Trauer nach einem solchen Verlust ablaufen wird, aber man wird ungetröstet bleiben, nie einen Ersatz finden. Alles was an die Stelle rückt und wenn es sie auch ausfüllen sollte, bleibt doch etwas anderes. Und eigentlich ist es recht so. Es ist die einzige Art die Liebe fortzusetzen, die man ja nicht aufgeben will.“