Lee Miller, Photographer, 1907-1977
Quelle Wikimedia Commons
Lee Miller taucht in der Kunstgeschichte zuerst am Rande auf, als Model, Muse, Gefährtin und Assistentin von Man Ray, steht wie manche andere Frau im Schatten einer männlichen Berühmtheit. Allerdings verfügt Lee Miller neben ihrer Begabung als Fotografin und Texterin zusätzlich über eine absolut erstaunliche Antriebskraft und innere Unruhe, die sie einerseits in höchste Gefahr bringt, letztlich aber zu einer der wichtigsten Journalistinnen im Weltkrieg II macht. Lee Miller durchmisst mit ihrem jungen künstlerischen Leben das gesamte Spektrum von Kunst, Boheme und mondäner Modewelt bis tief in das grauenhafteste Szenario des Krieges.
Etliche Jahre hat die Schauspielerin Kate Winslet dafür gekämpft, das Leben von Lee Miller in seiner entscheidenden Phase für das Kino darzustellen. Ganz abgesehen davon, dass in meinen Augen die Schauspielerin selbst nicht ganz dem Typus einer Lee Miller entspricht, ist Winslets Darstellung im filmischen Pendent dieses wahren Lebens eine großartige professionelle Leistung, emotional vereinnahmend. Was durchgehend überzeugt, ist die filmisch sensible Darstellung eines in allen Facetten grauenvollen Terrors. Die Bilder sind deutlich, beschämend, beklemmend. Aber stets wahrt die besonnene Regie von Ellen Kuras die Distanz zu spekulativer Kriegs-Action.
Kurz blättern im Fotobildband „Lee Miller, Fotografien“ Elisabeth Sandmann Verlag
Der Film zitiert viele bekannte, längst ikonische Bilder. Das ist nicht ungewöhnlich, aber in der Kameraführung von Paweł Edelman wie in der gesamten Ausstattung hervorragend gemacht und absolut authentisch. Im Abspann werden den Filmszenen einige Originale gegenübergestellt. Eine Auswahl zeigt der Bildband, der 2023, also nach Abschluss der Dreharbeiten, erschienen ist.
Man folgt den Protagonisten vom sonnigen Leben der künstlerischen Avantgarde unvermittelt in den Horror, von jetzt auf gleich sind Entsetzen und Trauer für einen selbst reproduzierbar, angesichts der unaufhaltsamen Gewalt, die Europa heimsucht. Lee Miller geht in dieser todernsten Lage impulsiv an die Front. Als Reporterin der britischen Streitkräfte bleibt ihr das anfangs verwehrt, als amerikanische Staatsbürgerin allerdings kann sie das einfordern. Sie begleitet die US Army bei der Invasion, der Befreiung von Paris, fotografiert und berichtet über die Lager von Dachau und Buchenwald.
Warum genau sie sich in dieser Situation mit ihrem Künstlerinnengemüt, als Modefotografin, in die Abgründe der menschlichen Bösartigkeit wagt, ist ein Mysterium. Jedoch konnte sie nicht im entferntesten ahnen, welcher Horror da auf sie wartete. Wir wissen heute alles und gerade deshalb ist es unsere Pflicht, jede Form der Gewaltsamkeit mit größter Aufmerksamkeit zu registrieren und ehrlich zu uns selbst zu sein, wenn es darum geht, wie wir Gewalt bewerten und mit ihr umgehen. Ob es mit dem lapidaren Hippie-Mantra „make love not war“ getan ist, bezweifle ich stark.
„Never forget, never forgive!“
Diese Textzeile hat Lee Miller unter eines der grausamen Dachauer Fotos setzen lassen. Wegschauen ist unmöglich. Roher Gewalt gegenüber kann man sich nicht intellektuell verweigern. Vor praktischer Gewalt kann man sich nur präventiv schützen oder man muss sie ertragen. Man kann sie nicht philosophisch ausklammern. Ein unscheinbarer Satz im Film bringt das Ganze auf den Punkt. „Selbst wenn ich wegsehen wollte, ich könnte es nicht.“ Das ist der Grund, warum Lee Miller die meisten Fotos, die sie während des Krieges gemacht hat, später auf dem Dachboden verschwinden ließ. Eine vage Möglichkeit, nicht mehr hinsehen zu müssen.
Überhaupt waren die Briten die ersten, die ihre KZ-Filmrollen in Archiven wegschlossen. Schon um des eigenen Friedens willen. Nur die amerikanische Vogue hatte 1945 Lee Millers grausame Bestandaufnahme gedruckt. Seltsam auch die heutige Modewelt, die über den Film im Allgemeinen und Kate Winslets Garderobe im Besonderen berichtet. Wer in diesem Artikel herunterscrollt, findet den legendären Beitrag „Believe it“. Schon damals: neben der neuesten Kollektion unvermittelt Leichenberge aus den Schreckenskammern der KZs Dachau und Buchenwald.
Kate Winslet on War Photographer Lee Miller, and the Film She Was Born to Make
Flashback ins Jahr 1986 – Ich erinnere mich an einen Plausch mit einer Nachbarin, als ich gerade nach München gezogen war. Ob ich mir das Umland schon etwas angeschaut habe, wollte sie wissen. „Waren Sie schon mal in Dachau?“ Das sei nämlich wunderschön und der Kuchen im Schlosscafé sehr zu empfehlen. Da fiel mir nix mehr ein. Von ähnlicher Qualität ist das „Wander-Highlight“ unten:
Der schwierige Umgang mit dem Pazifismus
Mir wird immer klarer, wie fatal oder besser hoffnungslos ein noch so gut gemeinter Pazifismus im Ergebnis wäre. Das Extrembeispiel des Zweiten Weltkrieges und die Reaktionen des Widerstandes zeigen doch deutlich, wie Appeasement und Friedensliebe unter die Räder kommen, wenn es wirklich knallt. Ein konsequenter Pazifismus, den ich übrigens für eine reine Behauptung halte, führt unterschwellig auch zur Verharmlosung von Gewalt, eben weil unterstellt wird, man habe im Falle des Falles überhaupt eine Wahl. Das hat man nicht! Und die Diskussion darüber ist in meinen Augen eine intellektuelle Spiegelfechterei, die nur zu Irritationen führt – merkwürdigerweise mit oft aggressiven gegenseitigen Unterstellungen. So ist es ein leichtes, seinem politischen Gegner, quasi von der Seitenlinie aus, die moralische Kompetenz abzusprechen, wie das derzeit die extremen Parteien so eifrig machen. Schließlich trägt man keine Verantwortung für sein Gerede. Beispielsweise plakatiert ausgerechnet das mit Putin sympathisierende BSW mit der Fragestellung „Krieg oder Frieden?“. Verlogener geht’s ja kaum noch. Diskussionen um den Pazifismus sind nur vor einem Krieg sinnvoll. Im Krieg selbst sind sie sinnlos, dann ist es zu spät.
Auch der Rechtsbegriff der Kriegsdienstverweigerung suggeriert ein trügerisches Ideal. Nämlich, dass man sich de facto der nackten Gewalt durch noble Willenskraft verweigern kann. Man kann sich der Gewalt ebenso wenig verweigern wie einer Krankheit, die uns aus heiterem Himmel befällt. Wie bei einer schweren Krankheit kann man sich nur darauf vorbereiten und, wenn wir konfrontiert sind, dagegen kämpfen. Man kann einer drohenden Gewalt nur ausweichen, sich durch Flucht entziehen, sie präventiv vermeiden oder ihr schließlich selbst mit Gewalt begegnen. Es ist aber gefährlich naiv zu hoffen, dass sich dieses Problem nicht stellt, wenn man nur ein guter Mensch bleibt.
Obwohl Lee Miller bis ans Ende ihrer Tage pauschal alle Deutschen gehasst hat, nehme ich mir als deutsches Nachkriegskind die Freiheit, sie zu bewundern. Ob es mir zusteht oder nicht.
Ein wertvoller Link Zehn Leben in einem
Deutschlandfunk Kultur hat aktuell über diese außergewöhnliche Künstlerin
eine sehr gute Zusammenstellung zu bieten.