Modernismus und Romantik

Blick von Grafenwerth auf den Drachenfels


Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss. Der romantischste Fluss Deutschlands ist der Rhein und der meist bestiegene Berg Europas ist der Drachenfels mit seiner sagenhaften Aussicht. Hier oben, an die malerische Burgruine gelehnt, mit weitem Blick über das imposante Tal des Stromes, sieht unsere Zukunft verheißungsvoll aus und aus nebulösen Träumen werden klare Pläne. So jedenfalls ist die bürgerliche Vorstellung im 19. Jahrhundert, von der sich vieles in unserer Mentalität erhalten hat. Die Bewegung der deutschen Romantik ist ja eine kulturelle Reaktion auf die Industrialisierung mit ihren radikalen Veränderungen des Arbeitslebens. Trotz der unglückseligen neuen Wirtschaftsform des Kapitalismus nährt sie die Hoffnung auf Fortschritt und Freiheit. Eine Ironie der Zeitgeschichte: der moderne Mensch mit seinen zwei Seelen entstammt dem bürgerlichen Biedermeier.

Das Lebensgefühl der Romantik bedient einerseits die sentimentale Erinnerung, gibt aber unter Umständen auch einen sehnsüchtigen Vorgeschmack. Beispielsweise im Fall der Rheinromantik. Sie entwickelt sich im 18. Jahrhundert, um durchreisende Engländer auf ihr eigentliches Traumziel Italien einzustimmen und bei der Gelegenheit um etwas Reisegeld zu erleichtern. Eine gewisse Ähnlichkeit mit der toskanischen Hügellandschaft lässt sich dabei gut vermarkten. Und Ruinen sind schnell und billig gemauert, wenn man zu wenig davon haben sollte. Auch dieser schlitzohrige Pragmatismus im Kulturbetrieb ist also nichts Neues.


Die Industrie-Ikonografie des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Reklame-Kitsch plus Fortschrittseuphorie. In seiner Ästhetik aus heutiger Sicht nicht gerade nachahmenswert, doch immerhin wird das Publikum auf beiden Kanälen gut bedient: Eine emotional-märchenhafte Erlebniswelt trifft auf die Technik des modernen Lebens.



So kommt man übers Sinnieren aufs Kommunikationsdesign ;-) Das nostalgische Exempel oben zeigt ganz charmant: es sind genau diese gar nicht so widersprüchlichen Aspekte, die unsere heutigen Vorlieben in Architektur und Design geprägt haben. Kein Mensch, so vernünftig und fortschrittlich er auf der einen Seite auch sein mag, kann auf der anderen Seite ein Leben ohne Schwärmerei ertragen, ob er es sich nun eingesteht oder nicht.

Der Modernismus als Stil unserer Zeit gibt uns die prosaische Struktur – die ererbte Romantik verleiht dem Leben Poesie. Entscheidend ist das strategische Gleichgewicht: zu viel Prosa wäre langweilig, zu viel Poesie macht uns misstrauisch. Das sollte man berücksichtigen, wenn man seine Mitmenschen erreichen und für sich werben will. Modernismus und Romantik als mediales Yin und Yang.

Das denkt man sich so als Rheinländer, wenn man mal wieder aus dem Trubel vom Drachenfels runter guckt und überlegt: warum ist es am Rhein so schön?




PS: William Turner als Vorbote der Rheinromantik

Apropos englische Reiselust. Nach Aufhebung der Kontinentalsperre 1813 und dem Frieden zwischen England und Frankreich, kann sich ein William Turner 1817 endlich auf den Weg machen und auch die deutschen Lande erkunden. Über Belgien und Holland kommt er am 19. August in Köln an, reist weiter über Bonn nach Koblenz und nimmt von dort aus zu Fuß seinen Weg flussaufwärts bis Bingen. Eine hübsch gemachte Website lädt ein zur virtuellen Reise …

Die William Turner-Route im oberen Mittelrheintal


JMW Turner, Am Rhein, 1825 (Quelle: The Print Collector / Alamy Stock Foto)


Fakt ist: Turners Landschaftsbilder tragen viel zum Reiseboom bei, der dann im 19. Jahrhundert in meiner Heimat einsetzt. Schön, dass er auch den Drachenfels und das Siebengebirge mehrfach skizziert hat. Der Link zur Tate Modern bietet ein ganzes Sortiment an Drachenfels-Ansichten sowie im Begleitmenü das komplette Sketchbook Cochem to Coblenz, entstanden über 20 Jahre später im Jahr 1839, auf einer seiner insgesamt 5 Deutschlandreisen.

Vieles wird später im heimischen Atelier zu detailreichen Aquarellen ausgearbeitet.

PPS: Artikel der Deutschen Welle Turner malt den Rhein
Blog-Artikel Mr. Turner – Meister des Lichts