München liest aus verbrannten Büchern


Die jährliche Gedenkveranstaltung auf dem Königsplatz, einem der kunsthistorisch imposantesten und politisch beklemmendsten Orte in München, hat ein beeindruckend klares Konzept.

Auch wenn in diesem Jahr die Vortragenden annähernd ihr eigenes Publikum stellten, es ändert nichts an der Tatsache, dass hier auf eine sehr angemessene Art an ein intellektuelles Desaster der deutschen Vergangenheit erinnert wird – leise, beharrlich und ohne moralisierenden Populismus. Der Straßenverkehr wird umgeleitet und fünf Stunden lang lesen Autoren, Schauspieler und Bücherfreunde Texte von Autoren, die verfolgt, verjagt oder ermordet wurden. Auf der Wiese die Gedenkfähnchen mit den Namen der Verfemten, daneben der obligatorische Brandfleck des Aktionskünstlers Wolfram P. Kastner.

Die kurze Lesezeit von fünf Minuten findet genau den passenden Takt. Nur so vermitteln viele Textvorträge auch die Dichte des intellektuellen Potenzials, dass hier im Größenwahn einer Nacht verheizt werden sollte. – Mein Fazit: Zwar ließ sich kein Wort, kein Gedanke, keine Idee wirklich vernichten, andererseits konnte auch nichts davon die Barbarei aufhalten. Jeder mag für sich beurteilen, wie hoch demnach der Einfluss von Bildung und nobler Gesinnung auf die Realpolitik ist und ab welchem Bedrohungsszenario die Kraft des freien Geistes keine tragende Rolle mehr spielt. Wenn’s brennt, ist es immer zu spät.



Ob gut oder böse, entscheidet sich viel früher an den Fragen: wer entwickelt Perspektiven, wer ergreift die Initiative, wer verschafft sich die Macht? Ab einem bestimmten Punkt folgt die Chronologie der Ereignisse unweigerlich einer grausamen Logik, wie sie in dem berühmten Zitat des jungen Heinrich Heine beschrieben wird. Denn die schüchterne Gedankenfreiheit allein reicht nie aus, und die Faust in der Tasche nützt nichts.


Bei allem Bemühen um Pazifismus – der ältere Heine setzt energisch hinterher:
„Ich bin das Schwert, ich bin die Flamme.“