Münchhausens Geburtstag

Footage: AdobeStock

Heute hätte der Baron von Münchhausen Geburtstag und weil ich in letzter Zeit mit rollenden Kugeln beschäftigt war, fällt mir spontan eine Szene aus diesem Ufa-Film mit Hans Albers ein, der einige patzige Anspielungen hat, was gar nicht so auffällt, weil man hinter der Nazi-Propaganda bestimmt keinen oppositionellen Geist vermutet. Allerdings hatte das Drehbuch ein Erich Kästner verfasst und der war geübt darin, mehrdeutige Texte abzuliefern. An einer Stelle philosophiert der Baron über Billiard², aus der Perspektive der Kugel, die keine Ahnung hat, was mit ihr passiert:



„Du wirst jetzt da hinausgeschickt und denkst dir in deinem kleinen Elfenbeingehirn, dort sei dein Ziel. Irrtum, mein Bester! Du wirst nur hinausgeschickt damit du auf deinem Umweg genau die Kugel triffst, der du zu Anfang schon so nahe warst. So viel über den Sinn des Lebens und nun glückliche Reise."




Leben ist immer lebensgefährlich

Wer sich verzockt, ist raus – im Spiel wie im wahren Leben. Künstlerpech sagt man. Und im Videoclip kann ich die schwarze Kugel ja ganz easy wieder rückwärts laufen lassen. Frage: sind solche Mätzchen ein Beweis dafür, dass wir, beeinflusst durch Medienkonsum, eine fahrlässige Vorstellung vom Dasein in Raum und Zeit entwickeln – oder ist ein bisschen Leichtsinn ganz vernünftig?

Man bemüht sich redlich, um Gewissenhaftigkeit, um eine vorausschauende Lebensführung. Und dann gibt es Momente, in denen man mit dem Radikalen sympathisiert. Neulich lief auf arte „Thelma and Louise“, dieses fatalistische Roadmovie: Die unaufhaltsame Vorwärtsbewegung im „Thunderbird“ ist eine starke Zeit-Metapher. Mit Verve hinein in die Ausweglosigkeit und dann im Hochgefühl, durch die Luft fliegend, ein Abgang im Glücksrausch – aus, Amen – auf einen Schlag alle Probleme vom Hals. Turbo-Eskapismus, sozusagen – nicht nachmachen!


Münchausen als europäisches Testimonial (Tschechien 1970), Fotovorlage: AdobeStock


Das Leben in der kinomanipulierten Fantasie könnte einen also Kopf und Kragen kosten, das direkte Gegenmittel dazu wäre digital-nüchternes Controlling. Ich habe mir von einer Schülerin bestätigen lassen, dass es innerhalb der Familienaufstellung speziell mit Informatiker*innen schwierig sein kann. Deren Reflexe seien darauf angelegt, ständig nach „dem Fehler“ zu suchen, eine defizitäre Sichtweise, die auch gruppendynamisch schlechte Laune macht. Sowohl die euphorische Manie als auch die strenge Logik haben also ihre Schattenseiten. Meist reicht es aber aus, einfach die Ruhe zu bewahren, die Dinge zu akzeptieren und sich seine Zeit einzuteilen. Kontrolle durch Besonnenheit.

In diesem Gemütszustand habe ich über die bereits erwähnte Canary-in-a-Coal-Mine-Theory nachgedacht und mittlerweile eine andere Meinung. Es ging hier um die Mutmaßung, dass Künstler, ob ihrer Empfindsamkeit eine Art Frühwarnsystem für bedrohliche gesellschaftliche Veränderungen darstellen. Im Amerika unter Trump ist zu beobachten, dass viele Kreativschaffenden derzeit schön brav in Deckung gehen. Offensichtlich beherrscht es auch ein Künstlertypus, rechtzeitig den Kopf einzuziehen, also nicht zu hyperventilieren und dann tot vom Stängel zu fallen, sondern wie alle anderen die Luft anzuhalten. So wie man das auch im Nationalsozialismus beobachten konnte, als sich Künstler mit den Machtgangstern arrangierten, abtauchten, unter Pseudonym weitermachten. Erich Kästner ist da ein besonders harmloses, Emil Nolde ein eher perfides Beispiel.

Wonach also wollen wir tendenziell suchen? Nach Fehlern, oder nach Mitteln und Wegen? Schauen wir uns mal die potenziell bedrohten Vögel im Bild unten an. Mir scheint, die fühlen sich gar nicht so unwohl, denn im Gegensatz zur dicken Katze können sie fliegen. Klappt übrigens im übertragenen Sinne auch beim Menschen. Der zentrale Punkt im Selbstbewusstsein ist die Gewissheit, oder zumindest die Vorstellung, im Fall des Falles fliegen zu können ;-)



Paul Flora, „Katze, Vögel und Kugeln“ – in meinen Augen eine beachtenswerte Versuchsanordnung



Eine letzte Frage nach der Bedeutung von Kugeln

Vor etlichen Jahren habe ich meiner Frau eine Lithografie von Paul Flora geschenkt, vor allem der Katze wegen. Die bunten Kugeln fand ich „interessant“ und dazu farblich passend besorgte ich zwei dicke Gartenkugeln für die Terrasse, wie man das im Voralpenland so macht. Für die Kugeln auf dem Bild fiel mir spontan keine Erklärung ein und so rief ich die Tochter des verstorbenen Künstlers an. Zwar weiß ich, dass in der Kunst nicht alles erklärt werden muss, weil mitunter eine unergiebige Schwurbeldynamik herausgefordert wird, aber Fragen kostet nix. Am Telefon ließ ich durchblicken, dass ich hinsichtlich der Kugeln eine gewisse Ahnung hätte, aber sicherheitshalber mal konkret nachfragen wollte. Gegenfrage: was ich denn für eine Ahnung hätte? Nun, als Gestalter könne ich mir grundsätzlich auch vorstellen, dass Form und Farbe nicht zwingend einen symbolträchtigen Grund hätten und einfach nur ästhetisch schön und angemessen seien. „Stimmt.“ sagte die Dame und damit war der Fall erledigt. Ihr Vater sei ja grundsätzlich ein Instinktmensch gewesen und die Anordnung von Figuren und Farbakzenten dementsprechend zufällig – im Ergebnis aber immer schön.

Hört sich lapidar an, aber das ist schlicht und ergreifend die Leistungsbeschreibung von Virtuosität. Also – machen wir doch einfach das, was wir wollen. So viel Zeit bleibt einem ja gar nicht.


__________

¹ hier der komplette Kästner-Vers, der Ordnung halber:
„Wird's besser? Wird's schlimmer?, fragt man alljährlich. Aber seien wir ehrlich, Leben ist immer lebensgefährlich."

² Link zum UFA-Film (Billiardszene bei 5:22 min)