„Nebel Leben“

Innehalten im Nebel – Besucherin mit iPhone


Über das Haus der Kunst in München hege ich einen tiefen Argwohn, da bin ich wohl nicht der Einzige. Mag aber auch sein, dass Andere den gruseligen Nazitempel regelrecht imposant finden. Das wuchtige Raumangebot eignet sich ja besonders für Künstler*innen mit großer Wasserverdrängung, also Herrschaften, die viel Platz gewohnt sind. Wie beispielsweise die altehrwürdige japanische Künstlerin Fujiko Nakaya, zu deren Lobpreisung man aktuell das halbe Haus der Kunst leergefegt hat. Vielleicht können ihre flüchtigen Schwaden dieser seelenlosen Architektur ja wieder etwas Leben einhauchen. Und womöglich ist das Palindrom des Ausstellungstitels auch so gemeint.

Vor Ort erwartet uns eine umfassende Werkschau. Gerne schließen wir uns mit lieben Freunden einer Führung an. Die Kunsthistorikerin ist sehr eloquent und gibt sich alle Mühe das visuelle Vakuum zu füllen, da aber hat sich mein Widerspruchsgeist schon wieder in aller Stille zugeschaltet. Darf man nicht skeptisch sein, wenn allein schon über den materiellen Aufwand gestaunt werden soll? Auch meine Frau stellt sich die Sinnfrage: Wozu das alles, wenn Nebel in natura so konkurrenzlos schöner und, was ja noch entscheidender, soviel berührender ist, als der Dunst aus aberhundert zischenden Düsen? Man steht ja auch nicht mit leuchtenden Augen neben einer Schneekanone ;-)

Das hört sich fieser an, als es gemeint ist, aber Kunst ist immer ein emotionales und sehr subjektives Kommunikationsangebot. Die Künstlerin hat ihren Nebelzauber zwar auch schon im Freien zelebriert, was sehr viel angenehmer anzuschauen, aber ureigentlich auch obsolet ist. Hier und jetzt, mit Nebel in geschlossenen Räumen kann ich nun wirklich gar nichts anfangen. Noch dazu, wo mich im Gesamtbild der Anblick von rohen Rohrleitungen in eine ganz düstere Fantasie steuert. – Wie gesagt, das Haus der ehedem Deutschen Kunst gefällt mir nicht.


Fujiko Nakaya. Nebel Leben / Retrospective at Haus der Kunst, Munich. Press preview, April 7, 2022.


Zwar hat die Hauptattraktion keinen existenziellen Drall für mich, aber zum Glück hat die berühmte Künstlerin einen ebenso berühmten wie hochsensiblen Vater! Im Obergeschoss sind Requisiten, Exponate und etwas filmischer Nachlass von Ukichirō Nakaya zu besichtigen. Schön sortiert, quasi ein Kabinett und damit ein versöhnliches Format: hier finde ich die Welt des Milchfarmers Wilson Bentley wieder und mein Herz macht zum Schluss noch einen kleinen Hüpfer.


Per 9-Euro-Ticket in der der S-Bahn zurück mit der Erkenntnis: Das Haus der Kunst mag ich wirklich nicht und vielleicht sollte man die Natur und deren Erforschung der Kunst vorziehen.


Innerhalb einer Familientradition haben alle ihre eigene Vorstellung vom Leben und leisten ihren Beitrag. Und man kennt Bismarcks despektierliche Meinung: „Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt vollends.“ Arrogante Sprüche besoffener Landjunker sollten uns trotzdem die Illusionen nicht rauben.