Die binomische Kunstformel

Fotovorlage: AdobeStock


Warum macht der Mensch Kunst? Die halbe Wahrheit lautet: weil er es kann. Weil er es sich leisten kann und weil er es will, nicht weil er muss oder soll. Ein archaischer Antrieb eben, lustvoll und spontan, aus sich selbst heraus und nur für sich selbst. Selbstvergessen, nennt man das irreführenderweise, aber eigentlich vergisst man bei seinem Tun die Anderen. Wer einen Anfang gefunden hat, vergisst auch das Warum und zieht sein Ding durch. Ohne Kalkül, ohne Spekulation, ohne Strategie, zur Not ohne Geld. Kunst macht ja den Erzeuger nur selten reich und darum haben Kreative in ihrer Beziehung zum Kaufmann grundsätzlich das Nachsehen. Der Geschäftsmann wird sich beim Erwerb einer künstlerischen Dienstleistung die Hände reiben, der Seiltänzer hingegen lebt vom Applaus und ist froh, wenn er wenigstens nicht abstürzt.

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Markenzeichen oder Stigma?


Die Legende vom tollen Käfer gehört zu den beliebtesten Vor- und Nachkriegsmärchen der deutschen Automobilindustrie. Leidenschaftlich romantisiert, liebevoll geschönt. Dabei war der „Volkswagen“ ursprünglich nicht mehr, als eine krasse Fehlkalkulation, ein Produkt, das zum Katalogpreis definitiv nicht herzustellen war. Und damit eine Verbrauchertäuschung, denn tausende von „Volksgenossen“ wurden um ihre gesamten Ansparzahlungen geprellt, ohne das jemals ein „KdF-Wagen“ zugeteilt wurde. Bekanntermaßen war ja ab 1939 Schluss mit der „Kraft durch Freude“, da musste das junge Unternehmen Granaten und Minen produzieren.

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Die gebrochene Existenz


Apropos Fraktur – das Thema im vorigen Beitrag gibt ja einen kleinen Einblick in unser typografisches Erbe, das allerdings keiner mehr antreten will. Sie hat nämlich einen ordentlichen Knacks weg, unsere Schrift, die wir Jahrhunderte lang als äußere Gestalt der Muttersprache gehegt und gepflegt und letztlich dann einfach vergessen haben. Die Erklärung für Ihr allmähliches Verschwinden ist banal und wenig geheimnisvoll. Formen sind irgendwann nicht mehr gefragt, Stile kommen aus der Mode. Gebrochene Schriften wurden nicht verdrängt oder verraten, sondern schlicht und ergreifend immer weniger benutzt. Nur weil es so schön ins Bild passt, sind sie allesamt durch die Nazidiktatur unter Generalverdacht geraten, wenngleich diese Größenwahnsinnigen sie rigoros abschaffen wollten. Die Gründe sind spekulativ, die medialen Konsequenzen waren aber bescheiden, denn im Zeitalter des Bleisatzes tauscht man nicht von heute auf morgen die Buchstaben aus.

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Design bestimmt das Bewusstsein


Man sieht sich im Kommunikationsdesign manchmal dem Vorwurf ausgesetzt, die Dinge nicht in ihrer vollen Komplexität und schon deshalb nicht wahrheitsgemäß wiederzugeben. Abgesehen davon, dass man auf einem DIN A-Blatt kaum die Welt erklären kann, stecken hinter plakativen Vereinfachungen und struktureller Kompaktheit durchaus ehrenwerte Motive. Man will einfach, dass beim Gegenüber was hängen bleibt.

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Die Wirklichkeit der Bilder (1938)

Foto: IMAGO / teutopress


Der Totalitarismus benutzt Bilder im öffentlichen Raum als scheinheilige Werkzeuge der Propaganda. Vielleicht lässt sich ein kluger Mensch so schnell nichts vorgaukeln, wirklich schlauer ist er trotzdem erst hinterher, wenn sich aufklärt, ob die perfide Botschaft nicht eine ganz andere ist, als zunächst noch wohlwollend angenommen. Doch selbst eine Lüge transportiert gelegentlich ein Fünkchen Wahrheit.

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Die Wirklichkeit der Bilder (1457)

Bildquelle Wikimedia Commons


In der Kunstbetrachtung und -bewertung verliert sich die tatsächliche Werkentstehung oft im Anekdotischen. Wie Kunst konkret beauftragt und vertragsgerecht ausgeführt wird ist aber eigentlich viel aufschlussreicher, als die Deutung von mutmaßlich virtuosen Kompositionen. Kaum jemand hat so detailgenau diese Wirklichkeit recherchiert wie der britische Kunsthistoriker Michael Baxandell. Sein Standardwerk ist für jeden künstlerisch Berufstätigen erbaulich und tröstlich zugleich, zeigt es doch anhand vieler Originalquellen, Briefwechsel, Verträge oder Materiallisten, wie ähnlich zur Gegenwart, das Verhältnis zwischen Dienstleister und Auftraggeber in der Kunstszene der frühen italienischen Renaissance war.

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Goyas Geister im Künstlerhaus


Goya hat uns vier Radierzyklen hinterlassen, die allein vom Umfang schon eine rauschhafte Größenordnung darstellen: „Los Caprichos“ mit 80 Blättern, „Desastres de la Guerra“ mit ebenfalls 80 Blättern, „Tauromaquia“ mit 40 Blättern und schließlich „Disparates“ mit 22 Blättern. Eine Ausstellung in dieser Vollständigkeit ist natürlich ein absolutes Muss.

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Die Poesie der Zwischenräume


Kunst gilt als unverbindlich, Wissenschaft als berechenbar. Aber auch dort gilt, was nicht passt, wird passend gemacht. Beispielsweise braucht unsere Erde für eine vollständige Umdrehung tatsächlich ein kleines bisschen länger als 24 Stunden. Um diese Maßdifferenz zu kompensieren – so war zu hören und zu lesen – wird in diesem Sommer mal wieder eine sogenannte Schaltsekunde eingeschoben. Das merkt kein Mensch und die Statistik geht wieder sauber auf. Ein glattes Ergebnis ohne blöde Nachkommastellen. – Was auch immer die Welt im Innersten zusammenhält, es scheint jedenfalls, dass in den Fugen noch etwas Luft ist.

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Wozu hat man sein Talent?


Wenn Kinder denselben Beruf ergreifen wie die Eltern, ist das für beide Seiten nicht grundsätzlich von Vorteil. Obwohl es im Handwerk, und dazu zähle ich unser Metier, eine überaus wirkungsvolle Tradition gibt, bleiben doch immer auch Zweifel um die Rollenverteilung innerhalb der Familie. Nun haben wir also schon den nächsten Grafikdesigner in der Familie, was von außen dann doch etwas anders taxiert wird, als das vielleicht bei Rechtsanwälten, Zahnärzten oder Bauunternehmern der Fall ist. Denn künstlerische Begabungen werden von besorgten Eltern gerne und geflissentlich übersehen – wenn’s ernst wird. Dabei sollte man eher stolz darauf sein, dass Kinder brauchbare Talente geerbt und Spaß daran haben, damit Ihr eigenes Leben zu gestalten.

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Funkstille – drei Gedenkminuten


Wie besiegelt man das Ende von 12 Jahren Terror auf knapp zwei DIN-A4-Seiten? Beim Besuch des Deutsch-Russischen Museums in Karlshorst halte ich kurz das Smartphone über die Vitrine. Darin die wichtigste Urkunde seit dem Westfälischen Frieden von Münster und Osnabrück. „Diese Erklärung ist in deutscher, englischer und russischer Sprache abgefasst. Allein massgebend ist die englische und russische Fassung.“

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