Kleiner Neujahrszauber


Alles auf Anfang! Das Thema Symbolismus von gestern macht ja nicht wirklich euphorisch. Zum Glück gehören zum magische Dreieck des Jugendstils noch das blumige Ornament und Liebe zur Natur. Also raus in Licht, Luft und Sonne! Dieser erste Januar ist ideal, um eine gemütvolle Weihnachtsmelancholie aufzulösen. Und die Lebensgeister tanzen wieder durch den Park.

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Von Scheinwelten und tragenden Brücken

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Die Kraft der Zeichen und Symbole ist uns ständig bewusst, aber nie ganz geheuer. Wenn der Mensch keine klaren Fakten hat, dann will er orakeln, deuten und spekulieren. Allerdings empfinden wir im Ungewissen je nach persönlichem Temperament sehr unterschiedlich. Und damit ist die Welt der Symbolik variabel für diffuses Wunschdenken und Illusionen oder eben Sorgen und Ängste. Das kann man künstlerisch sublimieren oder werblich instrumentalisieren. Die Frage ist, wie weit unsereins das Spielchen treibt und ab wann man sich möglicherweise mehr Misstrauen und Ablehnung einhandelt, anstatt die gewünschte Aufmerksamkeit und Begeisterung zu erzielen.

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Inventur im Club der toten Dichter und Denker

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„Wir haben die Lande gemessen, die Naturkräfte gewogen, die Mittel der Industrie berechnet, und siehe, wir haben ausgefunden: daß diese Erde groß genug ist; daß sie jedem hinlänglich Raum bietet, die Hütte seines Glückes darauf zu bauen; daß diese Erde uns alle anständig ernähren kann, wenn wir alle arbeiten und nicht einer auf Kosten des anderen leben will; und daß wir nicht nötig haben, die größere und ärmere Klasse an den Himmel zu verweisen.“ Heinrich Heine, 1836


Es wird erzählt, man habe die Werke des Aristoteles in der antiken Bibliothek von Rhodos in einer bestimmten Reihenfolge einsortiert: vorne die naturphilosophischen Bücher, dahinter (griechisch „meta“) die über die Physik hinausgehenden Theorien, die man darum fortan „meta ta physika“ nannte. Wer weiß, ob’s stimmt, aber so hatten die Dinge schon mal ihre literarische Grundordnung. Überhaupt: kein schlechtes Bild, sich die Welt als Bibliothek vorzustellen. Ein stetig wachsender, unendlicher Speicher von Beschreibungen, Hypothesen und Beweisführungen, ein Gedächtnis der menschlichen Erfahrung und Erkenntnis. So faszinierend, dass sich mancher gar nicht mehr auf die reale Welt einlassen mag, die im metaphysischen Sinne genauso virtuell ist wie ein Computerspiel – eine Projektion, eine Vorstellungswelt eben.

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Die Schönheit im Auge des Betrachters


Manchmal hat man Mühe, die banalen Bilder aus dem Kopf zu bekommen. Es gibt aber auch Momente, wenn plötzlich etwas Edles aus dem Nichts auftaucht, etwas das es eigentlich nicht gibt, und sich doch im Kopf zusammenfindet. Und sich wieder zerstreut. Wie in dieser Rasterfahndung nach Echnatons Gemahlin. So eine geraubte Schönheit der Kunstgeschichte. Wem gehört sie nun wirklich?

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Modernismus und Romantik


Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss. Der romantischste Fluss in Deutschland ist der Rhein und der meist bestiegene Berg Europas ist der Drachenfels, mit seinem sagenhaften Ausblick. Angelehnt an eine malerische Burgruine, mit weitem Blick ins imposante Flusstal, sieht die Zukunft verheißungsvoll aus und aus nebligen Träumen werden klare Pläne. So war jedenfalls die bürgerliche Vorstellung im 19. Jahrhundert, von der sich vieles in unsere Mentalität verirrt hat. Denn die Bewegung der deutschen Romantik ist eine kulturelle Reaktion auf die Industrialisierung mit ihren drastischen Veränderungen im Arbeitsleben, die trotz der unseligen neuen Wirtschaftsform des Kapitalismus, die Hoffnung auf Fortschritt und Freiheit nährt. Der moderne Mensch mit seinen zwei Seelen entsteht im spießigen Biedermeier.

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Das Korrekturen-Enigma

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„Seite 82 oben, zweite Spalte, vierter Absatz, dritte Zeile: bitte Gedankenstrich hinter dem zweiten Wort von links einfügen!“

Korrekturen einarbeiten im Jahr 2014 kommt mit manchmal vor wie Schiffe versenken in meiner Grundschulzeit. Wie Alan Turing auf den Spuren der Enigma, so hat unsereins den E-Mail-Korrekturode zu knacken. Dabei bräuchte man einfach nur neben das Falsche das Richtige schreiben, vielleicht sogar mit Hilfe von Korrekturzeichen und fertig. Da haben wir so ein feines Betriebssystem, alles für den analogen Erkenntnisapparat des Menschen gemacht. Nur die Leute selbst werden immer mehr selbst zum Scanner und zerlegen ihre Arbeit militärisch kalt in gefühllose Arbeitsschritte. Eine derart verklausulierte Sprache kenne ich wirklich sonst nur von der Bundeswehr. Da spricht man auch gerne mal rückwärts, weil das angeblich logisch ist: „Spaten-Klapp–Feld“ – auch schön.

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Haben Sie manchmal Déjà-vus?

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Im Filmklassiker „Und täglich grüßt das Murmeltier“ lautet die Antwort der bemühten Pensionswirtin: „Normalerweise nicht, aber ich kann ja mal in der Küche nachsehen“. Das ist auf sehr charmante Weise lustig, überhaupt finde ich den ganzen Film witzig und intelligent. Ich hatte sogar kurz die Idee, mich morgens mit „I got you babe“ auf dem Handy wecken zu lassen, schon weil Cher ein erster Jugendschwarm für mich war, aber dann war mir das Experiment doch zu heikel. Wer weiß schon, wie das Unbewusste auf solche Späße reagiert? Das plötzliche Déjà-vu ist ja immer etwas unheimlich – eine seltsam unwirkliche Überlagerung der eigenen Vorstellungswelt mit Fantasien und Erwartungen, diese wahrhaft surreale Doppelbelichtung von Erinnerung und Realität. Manchmal beklemmend, unheimlich, manchmal einfach nur etwas verrückt und schnell wieder vergessen.

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Misses next match!


Es sind so kleine Sachen, die einen impulshaft aus der Lethargie reißen können. Folgende Situation: WM im Fernsehen, CMR:BRA, 22:26 Uhr MEZ und dann die sonderbare Einblendung: „Der Digitalreceiver schaltet sich in 03:32 Minuten ab, weil in den letzten 4 Stunden keine Aktivität stattfand.“ Wie bitte? Kamerun hat gerade gegen Brasilien ein Tor geschossen, und ich schau doch aufmerksam zu? Mir bleiben knappe drei Minuten zum Nachdenken.

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Die Handschrift als Backup im Kopf


Gelernt ist gelernt, aber gelesen ist nicht begriffen! – Die Neurowissenschaft belegt, dass manuelles Schreiben sehr viel intensiver die gelernte Schrift im Gehirn verankert, als eine Eingabe über die Tastatur oder das Lesen allein.

Der britische Neurologe Oliver Sacks schildert den Fall eines Mannes, der am Morgen wie üblich die Zeitung aufschlägt und feststellt, dass der Text völlig unverständlich ist. Es sind die vertrauten Buchstaben, doch ergeben sie keinen Sinn. Zuerst glaubt er an einen Jux seiner Freunde, doch wer sollte eine Zeitung derart aufwändig gefälscht haben? Obwohl er sich völlig normal fühlt, wird ihm schnell klar, dass es nur eine Erklärung für das Buchstabenchaos gibt: er muss in der Nacht einen Schlaganfall erlitten und infolge dessen das Lesevermögen verloren haben. So weit, so tragisch, aber jetzt kommt das eigentlich Verblüffende. Er nimmt sich einen Kugelschreiber und schreibt, so wie immer. Er kann das Geschriebene selbst nicht mehr lesen, aber er kann sich nach wie vor schriftlich mitteilen. Wie ist das zu erklären?

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München liest aus verbrannten Büchern


Die jährliche Gedenkveranstaltung auf dem Königsplatz, einem der kunsthistorisch imposantesten und politisch beklemmendsten Orte in München, hat ein beindruckend klares Konzept.

Auch wenn in diesem Jahr die Vortragendenden annähernd ihr eigenes Publikum stellten, es ändert nichts an der Tatsache, dass hier auf eine sehr angemessene Art an ein intellektuelles Desaster der deutschen Vergangenheit erinnert wird – leise, beharrlich und ohne moralisierenden Populismus. Der Straßenverkehr wird umgeleitet und fünf Stunden lang lesen Autoren, Schauspieler und Bücherfreunde Texte von Autoren, die verfolgt, verjagt oder ermordet wurden. Auf der Wiese die Gedenkfähnchen mit den Namen der Verfemten, daneben der obligatorische Brandfleck des Aktionskünstlers Wolfram P. Kastner.

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