R H I N O C E R V S · 1 5 1 5


Ein Kollege an der Montessori-Oberschule hatte die schöne Idee, unsere Schüler*innen im Fach „Moderne Medien“ mal auf eine Medienfährte zu locken, die schon ein paar Jahrhunderte zurückliegt. So finde ich im Papierschrank Dürers Rhinocerus, eins meiner Lieblingsmotive und erkundige mich bei der Klasse. Leider ist aus den Befragten nicht viel herauszuholen, schnell ist man beim Aufreger über das gefangene Nashorn, das man auf hoher See angekettet absaufen lässt, obwohl so ein Tier ja doch schwimmen kann. Das kann so mancher Mensch auch und doch hilft‘s ihm nicht, wenn er im Sturm über Bord geht, denk‘ ich mir, sag’s aber nicht. In Gedanken lasse ich mich also bereits auf diesen nebensächlichen Diskurs ein und merke, dass hier kann nicht Sinn der eigentlichen Aufgabe gewesen sein. Solche Missverständnisse sind normal für ein vielschichtiges Kommunikationsangebot, das in der Realität scheitert, weil die maßgebliche Botschaft ihrer Bedeutung nach nicht richtig einsortiert wird. Nur die „Story behind“ bleibt diffus in Erinnerung. Nix Neues.

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Кант – Фаренгейт 451


Wenn etwas interessant und berühmt, aber dennoch sehr rätselhaft ist, dann bin ich von Berufs wegen spontan empfänglich für ein sich selbst entzündendes Assoziationsfeuerchen. Bei Kant dauert es nie lange, bis man beim Lesen ins Stocken gerät, sich am Kopf kratzt, gar einschläft¹ – oder an was anderes denkt. Als nun das Titelblatt wie von Geisterhand zu kokeln beginnt, habe ich sofort Ray Bradbury im Verdacht. Davon können auch die kyrillischen Buchstaben nicht ablenken, die wiederum mit der geografischen Lage der ehemals preußischen Metropole zu tun haben müssen und sich per Drag and Drop schnell entschlüsseln lassen. Ich geb’s zu: Meine alternde Fantasie begnügt sich immer mehr mit der Abschweifung, dystopische Tendenzen inbegriffen.

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Heine über Kant – 1834

Heine 1831 – Bildquelle Wikimedia Commons


Heine gilt als einer der ersten deutschen Dichter, die allein von ihrer schriftstellerischen Tätigkeit leben. Als Journalist begründet er im Pariser Exil maßgeblich den modernen Feuilletonstil und erklärt auf seine Art den Franzosen die Geschichte der Deutschen und deren ambivalente Mentalität. Die leicht ironische Note sollte nicht über die klar-analytischen Sicht der Dinge hinwegtäuschen. Am Ende des oben genannten Buches erwartet uns eine düstere Prognose auf den germanischen Furor:

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„Wo keine Götter sind, walten Gespenster.“

Sonne, Mond und Finsternis


Das Novalis-Zitat in der Überschrift passt gut in eine Welt, die zunehmend von allen guten Geistern verlassen scheint. Auf einen Götterhimmel voller Psychopathen, wie wir ihn aus den Sagen des klassischen Altertums kennen, können wir ohnehin getrost verzichten. Aber auch die Frage, ob es einen einzigen, allmächtigen Gott gibt, der vielleicht seine Hand schützend über die Menschheit ausstreckt, stellt sich für mich spätestens nach zwei gottlosen Weltkriegen nicht mehr.

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Palaverpause


Neulich sitzen wir mit ein paar Leuten im Café¹ und unterhalten uns. Ich sage was, dazu fällt meinem Gegenüber P auch was ein und der übernimmt meinen Gesprächsfaden. Das heißt, er reißt den Faden eher beiläufig ab, wie man das halt so macht, entschuldigt sich höflich dafür, mich unterbrochen zu haben. Ich bedeute ihm, weiterzureden, was er kurz versucht, woraufhin ihm F, der neben mir sitzt, ebenso ins Wort fällt. P überlässt nun F das Thema, weist aber noch sanft darauf hin, dass er selbst mich bereits unterbrochen habe, doch jetzt ist F am Drücker und ich habe nun tatsächlich die zweite Hälfte meines Satzes längst vergessen. Wird nicht so wichtig gewesen sein, denkt man dann.

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Winterstille '24

Marienkapelle bei Auing


Leicht ist's, folgen dem Wagen,
Den Fortuna führt,
Wie der gemächliche Tross
Auf gebesserten Wegen
Hinter des Fürsten Einzug.

Aber abseits wer ist's?
Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad,
Hinter ihm schlagen
Die Sträuche zusammen,
Das Gras steht wieder auf,
Die Öde verschlingt ihn.

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aus Goethes „Harzreise im Winter“

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Narr und Winterkönig*in

Bildquelle Wikimedia Commons


„Wenn es weiter so schneite, dachte sie, würde morgen alles mit Weiß bedeckt sein, und die Rückfahrt nach Den Haag könnte schwierig werden. War es für Schnee nicht viel zu früh im Jahr? Wahrscheinlich würde dafür bald schon irgendein bedauernswerter Mensch dort unten am Pranger stehen. Und dabei liegt es an mir, dachte sie. Ich bin doch die Winterkönigin!

Sie legte den Kopf in den Nacken und öffnete den Mund, so weit sie konnte. Das hatte sie lange nicht getan. Der Schnee war noch so süßlich und kalt wie einst, als sie ein Mädchen gewesen war. Und dann, um ihn besser zu schmecken, und nur weil sie wusste, dass in der Dunkelheit keiner sie sah, streckte sie die Zunge heraus.“ – Daniel Kehlmann, Tyll, 2017

Zum Jahreswechsel noch ein kleines Schneetreiben! – Weil die so vielfach porträtierte böhmische Winterkönigin exakt die illustre Figur ist, die noch perfekt in meine Wer-bin-ich-Serie passt und da ich zuvor Banksy als neuzeitlichen Eulenspiegel bereits ausführlich behandelt habe, nun also zur anderen Sphäre der Gesellschaft und zu einem ganz besonderen Exemplar der Selbstdarstellung. Diese ungewöhnliche Frau hat Daniel Kehlmann in seinem vorletzten Roman „Tyll“ zur literarischen Ikone gemacht. Davon ausgehend ist das kunsthistorische „Profiling“ ein Kinderspiel.

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Die Kunst (von der Kunst) zu leben

Vermeer vs Banksy


„Bildende Kunst ist nicht wie andere Kultur, denn ihr Erfolg wird nicht vom Publikum gemacht. Das Publikum füllt jeden Tag Konzertsäle und Kinos, wir lesen millionenfach Romane und kaufen milliardenfach Tonträger. Wir Leute haben Einfluss auf die Entstehung und Qualität des größten Teils unserer Kultur, aber nicht auf unsere Kunst.

Die Kunst, die wir uns ansehen, wird nur von einigen wenigen gemacht. Eine kleine Gruppe schafft, fördert, kauft, stellt aus und entscheidet über den Erfolg der Kunst. Nur ein paar hundert Menschen auf der Welt haben ein wirkliches Mitspracherecht. Wenn Sie eine Kunstgalerie besuchen, sind Sie lediglich ein Tourist, der sich den Trophäenschrank einiger weniger Millionäre ansieht.“ – Banksy, 2005¹


Gemessen an der subtilen Ironie in Banksys künstlerischem Werk wirkt das Zitat recht direkt und zynisch. Dabei stellt sich die Frage, ob er als Künstlertypus seinen Vorwurf widerlegt oder nicht längst bestätigt hat, steht er doch selbst seit Jahren in den Trophäenschränken der Oberschicht – und das in geradezu monumentalem Ausmaß. …

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Die Leichtigkeit des Designs

Foto: AdobeStock


„Um wirklich Meister des Bogenschießens zu sein, genügen technische Kenntnisse nicht. Die Technik muss überschritten werden, so dass das Können zu einer ‚nichtgekonnten Kunst’ wird, die aus dem Unbewussten erwächst.“ – Herrigel, Zen in der Kunst des Bogenschießens¹



Virtuosität hat sicher viel mit Perfektion zu tun, nicht zu verwechseln mit Pedanterie. Erfahrene Gestalter*innen arbeiten zwar mit zielführender Präzision, zeitgemäßes Design funktioniert aber idealerweise auf die denkbar einfachste Art. Das Meisterliche wirkt darum schlussendlich immer leicht und unbekümmert. Wer‘s drauf hat, kann sich locker machen.

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Work, Life, Balance

Fotovorlage¹ AdobeStock


Man kann sich durchaus fragen, was denn nun wirklich anstrengender ist, das Arbeiten oder die sogenannte Freizeit? Vor allem, wenn wir uns in den Lifestyle besonders engagiert eingliedern und jede freie Minute sinnvoll gestalten wollen. Freiberuf und Privatleben sind ohnehin regelrechte Parallelwelten. Sowohl die eine wie die andere ist mitunter sonderbar.

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