who am i?

A. D. 1500 – Auge in Auge


Dürers Selfie im Pelzrock gehört zu den berühmtesten der Welt, strotzt voller Selbstbewusstsein und ist in vielen Belangen geradezu anmaßend: ein arroganter und quasi „unanständiger“ Auftritt, denn dieses Renaissance-Genie gebärdet und kleidet sich wie ein Patrizier, obwohl es nur ein Maler ist. Vor etlichen Jahren hing im Nürnberger Hauptbahnhof das Konterfei als Großbanner an den Wänden und gelegentlich haben sich Reisende aus dem christlichen Ausland davor bekreuzigt, weil der Albrecht in seiner frontalen Symmetrie dem Heiland zum Verwechseln ähnlich ist. Keck auch der Doppelsinn seiner Initialen in Verbindung mit der epochalen Jahreszahl. – Hybris als Methode? Nicht ganz, Dürer steigt vor allem seiner unfassbaren Qualifikation wegen in die höchsten Kreise auf.

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Die Moderne in der Alten Pinakothek


In der Weihnachts- und Familienfreizeit konsumiert man gerne unbehelligt etwas Kultur. Der Andrang vor dem Eingang der Hypo-Kunsthalle hält sich in Grenzen, aber die Exponate im Flyer sind wenig verheißungsvoll. Eigentlich würde er sich lieber gern mal wieder einen originalen van Gogh ansehen, sagt der Sohn. So trotten wir weiter zur Alten Pinakothek – zurück zu den Wurzeln.

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„Gleichgewicht“

„Gleichgewicht“, Collage mit 2 Radierungen …


Einige kleine Schnitzfiguren, eine größere Tuschezeichnung der Partenkirchner Ludwigstraße und ein Exponat ihrer letzten Ausstellung sind uns von Marie geblieben. Die Arbeit „Gleichgewicht“ hat nun einen schönen Platz gefunden, neben der Skulptur von Daniel Eggli, die wir von ein paar Jahren beim gemeinsamen Besuch in einer Münchner Galerie erworben haben. Auch so eine gute Erinnerung, dieser teure Kunstkauf, trotz Corona-Kalamitäten – damals ist irgendwie auch ein klitzekleiner Teil von Maries Seele in diese stille Figur hineingehüpft und macht sich seitdem bemerkbar.

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„swifter than the moon's sphere“

Foto: AdobeStock


„Nun gute Nacht! Das Spiel zu enden, Begrüßt uns mit gewognen Händen!“

So lautet der letzte Satz im Epilog des Puck, er verbeugt sich, dann ist das Spiel aus. Und schneller als der Lauf des Mondes ist ein schöner Traum vorbei. Die Elfe ist nicht mehr da. Keine lustige Eselei mehr. Die Illusion perdu. Und dennoch hoffe ich fest, dass ein Modell „Heile Welt“ sehr nachhaltige Ressourcen bietet, allein durch die Rückschau auf das erlebte Glück.

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„Das Herz ist ein einsamer Jäger“

Wolke fotografiert von Sabine


Es gibt Romantitel, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen, womöglich weil sie sich wie ein Mantra im eigenen Lebensentwurf einnisten. Das Debüt der 23 Jahre jungen Carson McCullers heißt im Originalmanuskript noch „The Mute“, der Verlag ändert das in „The Heart Is a Lonely Hunter“. Selten ist der Blick von außen – als Feedback auf das fertige Werk – so segensreich wie in diesem Fall, denn erst dieser romantische Satz verkündet den amerikanisch-literarischen Blues, der uns motiviert ein Buch aufzuschlagen. Der Mensch hat Sehnsüchte – ich kann mich nur wiederholen.

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anno illuminati '23

Illu: AdobeStock

Für Menschen, die ans Übersinnliche glauben oder gar zu Verschwörungstheorien neigen, könnte der Jahresanfang mit einer „verfluchten 23“ einige Irritationen mit sich bringen. Da die Zahlenmystik in Kunst und Kommunikation schon immer einen dunklen Raum einnimmt hat, sei gleich verraten, dass geheimnisvolle Zahlen stets mit einem simplen, manipulativen Trick generiert werden. Zuerst setzt man eine Behauptung in die Welt und verkauft diese anschließend ohne Nachweis als Beobachtung. Die düstere Schlussfolgerung überlässt man perfiderweise dem Publikum.

Wer selektiv wahrnehmend im weiteren Verlauf auf irgendeine Zahl achtet, und sei es die 23, ist selber schuld. Im Nachhinein ergeben sich immer „merkwürdige“ Anzeichen. Genau das ist aber der Punkt, man wertet immer die Vergangenheit aus und jeder erfahrende Mensch weißt, wie manipulierbar die Vergangenheit im Allgemeinen und die persönliche Erinnerung im Besonderen ist.

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Circe vergiftet das Meer

Bildquelle Wikimedia Commons


Seit meinem Weihnachtseintrag 2021 hab‘ ich nun gut dreizehnmal das Wort Zauber verwendet. Das wäre für einen Schulaufsatz der Wiederholungen deutlich zu viel, aber im eigenen Journal darf man gelassen sein Denken beobachten und sich dann die Erkenntnisfrage stellen, die da lauten könnte: will man ernsthaft auf die Magie im Leben bauen? Wenn nein, wie wird man dann die herbeigerufenen Geister wieder los? Wie ein Zauberlehrling auf Entzug, so fühlt sich das an. Medizinisch nennt sich das „Brainfog“, wieder so ein neuzeitliches Phänomen, was einen Gefühlszustand beschreibt, wo die gewohnte Leichtigkeit futsch und der Kopf vernebelt ist, das Herz schwer wird. Womöglich, weil das abgestandene Glücks-Elixier einfach verdorben ist und nun wie ein Gift im Gemüt versickert.

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Anfang und Ende der Welt

Bildquelle Wikimedia Commons


„Das maria gottes můter sey, das gelaub ich nit! sälig sind sy baide on zweifel"
Abschrift aus einem Minnetext, von Clara Hätzlerin, Kalligrafin zu Augsburg (1430-1476)


Schon immer mal wollte ich ein stimmungsvolles, sakrales Weihnachtsmotiv behandeln. Obwohl ich kein gläubiger Mensch bin, auch zur Christnacht nicht in die Kirche gehe, ist mir der liturgische Zauber aus der Kindheit noch bestens vertraut. Nur ist mir eine gesunde Skepsis wichtig und da kommt mir dieses nette Sprüchlein oben ganz recht. Erstaunlich, dass um diese Zeit soviel profane Nüchternheit möglich ist. Wir machen uns ja immer so leicht ein Bild von der Unbedarftheit unserer Vorfahren: ungebildet und fromm. Und womöglich noch in einem kausalen Zusammenhang.

Beides ist bei näherer Betrachtung aber nicht der Fall. Der moderne Mensch, in seiner webbasierten Verschwörungsblödheit, sollte sich da gar nichts einbilden. Beispielsweise hat, im Gegensatz zu heute, die letzten zweitausend Jahre kaum jemand ernsthaft daran geglaubt, dass die Erde flach ist, obwohl das gerne mal so arrogant unterstellt wird. Ein Blick auf die überlieferten Bilder, auch die der christlichen Kunst, hätte genügt um festzustellen, dass es hier jede Menge Globussymbolik wie Reichsäpfel und dergleichen gibt. Die Mondsichel ist zwar stets das Hauptrequisit der Madonna, als Säulenheilige steht sie aber oft genug auch auf einer Erdkugel.

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Advent, Advent, …*

Turmuhr am 7. Februar 2022


Den Trierer Dom ziert eine feine, goldene Textzeile, deren Bedeutung ich mir über die Eselsbrücke „Advent heißt Ankunft“ endlich gut merken kann. Wenn man’s überhaupt immer so genau wissen will. Wer vor einem Dom steht, verharrt auch ohne Lesekompetenz einige Zeit ehrfurchtsvoll draußen und lässt die Baukunst auf sich wirken. Der Blick nach oben zum Turm ist strategisch kalkuliert und die Andacht dabei nicht unangenehm. Gerne höre ich die warmen Glocken läuten, insbesondere, seitdem es für mich keine Aufforderung mehr darstellt, wie zu meiner Kindheit, wo der Kirchgang noch eine lästige Pflicht war. Diese Unverbindlichkeit ist wohl das, was mein Interesse wachhält – die Botschaft und der fehlende Glaube. Vor kurzem lese ich ein SZ-Interview mit Patti Smith, die ein ähnliches Faible für Kirchen als Orte der stillen Einkehr hat – ohne beim Kerzenanzünden ihre Punk-Mentalität zu verändern. Die Frau ist eben auch eine Poetin mit Antennen in alle Richtungen.

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alles, was der Fall ist


Das erste Mal, dass ich in einem verwertbaren Zusammenhang von Ludwig Wittgenstein höre, ist in Edgar Reitz' monumentaler Filmchronik „Die Zweite Heimat.“ Wittgensteins frühes Hauptwerk ist ein dünnes Buch mit sieben Siegeln, aber über die Erzählkunst des Edgar Reitz wird mir das Ganze intuitiv etwas zugänglicher. In der Folge „Kennedys Kinder“ treibt sich der ewige Philosophiestudent Alex an einem verregneten Novembertag 1963 in München herum und versucht, freundlich palavernd, seine Freunde „auf die Probe zu stellen“, im Klartext: anzuschnorren. Zuvor hat er kurz in Wittgensteins „Tractatus logico philosophicus“ geschmökert, nun trifft er, das Buch noch in der Hand, im Park des Nordfriedhofs auf die von großen Sorgen geplagte, apathisch wirkende Clarissa. Mit dem Worten „So ein Zufall. Was machst du denn hier?“ fängt er sie ab und kommt mit einer weiteren Floskel ohne Umschweife ins Rezitieren. „Apropos Zufall, weißt du, was Wittgenstein dazu sagt?“

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