Circe vergiftet das Meer

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Seit meinem Weihnachtseintrag 2021 hab‘ ich nun gut dreizehnmal das Wort Zauber verwendet. Das wäre für einen Schulaufsatz der Wiederholungen deutlich zu viel, aber im eigenen Journal darf man gelassen sein Denken beobachten und sich dann die Erkenntnisfrage stellen, die da lauten könnte: will man ernsthaft auf die Magie im Leben bauen? Wenn nein, wie wird man dann die herbeigerufenen Geister wieder los? Wie ein Zauberlehrling auf Entzug, so fühlt sich das an. Medizinisch nennt sich das „Brainfog“, wieder so ein neuzeitliches Phänomen, was einen Gefühlszustand beschreibt, wo die gewohnte Leichtigkeit futsch und der Kopf vernebelt ist, das Herz schwer wird. Womöglich, weil das abgestandene Glücks-Elixier einfach verdorben ist und nun wie ein Gift im Gemüt versickert.

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Anfang und Ende der Welt

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„Das maria gottes můter sey, das gelaub ich nit! sälig sind sy baide on zweifel"
Abschrift aus einem Minnetext, von Clara Hätzlerin, Kalligrafin zu Augsburg (1430-1476)


Schon immer mal wollte ich ein stimmungsvolles, sakrales Weihnachtsmotiv behandeln. Obwohl ich kein gläubiger Mensch bin, auch zur Christnacht nicht in die Kirche gehe, ist mir der liturgische Zauber aus der Kindheit noch bestens vertraut. Nur ist mir eine gesunde Skepsis wichtig und da kommt mir dieses nette Sprüchlein oben ganz recht. Erstaunlich, dass um diese Zeit soviel profane Nüchternheit möglich ist. Wir machen uns ja immer so leicht ein Bild von der Unbedarftheit unserer Vorfahren: ungebildet und fromm. Und womöglich noch in einem kausalen Zusammenhang.

Beides ist bei näherer Betrachtung aber nicht der Fall. Der moderne Mensch, in seiner webbasierten Verschwörungsblödheit, sollte sich da gar nichts einbilden. Beispielsweise hat, im Gegensatz zu heute, die letzten zweitausend Jahre kaum jemand ernsthaft daran geglaubt, dass die Erde flach ist, obwohl das gerne mal so arrogant unterstellt wird.¹ Ein Blick auf die überlieferten Bilder, auch die der christlichen Kunst, hätte genügt um festzustellen, dass es hier jede Menge Globussymbolik wie Reichsäpfel und dergleichen gibt. Die Mondsichel ist zwar stets das Hauptrequisit der Madonna, als Säulenheilige steht sie aber oft genug auch auf einer Weltkugel.

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Advent, Advent, …*

Turmuhr am 7. Februar 2022


Den Trierer Dom ziert eine feine, goldene Textzeile, deren Bedeutung ich mir über die Eselsbrücke „Advent heißt Ankunft“ endlich gut merken kann. Wenn man’s überhaupt immer so genau wissen will. Wer vor einem Dom steht, verharrt auch ohne Lesekompetenz einige Zeit ehrfurchtsvoll draußen und lässt die Baukunst auf sich wirken. Der Blick nach oben zum Turm ist strategisch kalkuliert und die Andacht dabei nicht unangenehm. Gerne höre ich die warmen Glocken läuten, insbesondere, seitdem es für mich keine Aufforderung mehr darstellt, wie zu meiner Kindheit, wo der Kirchgang noch eine lästige Pflicht war. Diese Unverbindlichkeit ist wohl das, was mein Interesse wachhält – die Botschaft und der fehlende Glaube. Vor kurzem lese ich ein SZ-Interview mit Patti Smith, die ein ähnliches Faible für Kirchen als Orte der stillen Einkehr hat – ohne beim Kerzenanzünden ihre Punk-Mentalität zu verändern. Die Frau ist eben auch eine Poetin mit Antennen in alle Richtungen.

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alles, was der Fall ist


Das erste Mal, dass ich in einem verwertbaren Zusammenhang von Ludwig Wittgenstein höre, ist in Edgar Reitz' monumentaler Filmchronik „Die Zweite Heimat.“ Wittgensteins frühes Hauptwerk ist ein dünnes Buch mit sieben Siegeln, aber über die Erzählkunst des Edgar Reitz wird mir das Ganze intuitiv etwas zugänglicher. In der Folge „Kennedys Kinder“ treibt sich der ewige Philosophiestudent Alex an einem verregneten Novembertag 1963 in München herum und versucht, freundlich palavernd, seine Freunde „auf die Probe zu stellen“, im Klartext: anzuschnorren. Zuvor hat er kurz in Wittgensteins „Tractatus logico philosophicus“ geschmökert, nun trifft er, das Buch noch in der Hand, im Park des Nordfriedhofs auf die von großen Sorgen geplagte, apathisch wirkende Clarissa. Mit dem Worten „So ein Zufall. Was machst du denn hier?“ fängt er sie ab und kommt mit einer weiteren Floskel ohne Umschweife ins Rezitieren. „Apropos Zufall, weißt du, was Wittgenstein dazu sagt?“

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A Passion Play – Part 2

Part 1 – Passion Play Oberammergau


Wer unter Entzauberung leidet, ist arm dran. Zum Glück gibt es dennoch Mittel und Wege, sich seinen Zauber zu erhalten. Meine Freunde und ich machen das in unserer Jugend hauptsächlich über die Musik – da kommt immer zuerst der Sound und dann der Text, schon allein, weil unser Schulenglisch noch nicht ausreicht. Doch Bands wie Jethro Tull drucken ja schon mal ihre Lyrics ab.

Flasback ins Heimatdorf vor 49 Jahren: Jethro Tull ist eine meiner Lieblingsbands, die ersten vier Alben habe ich bereits. Nach „Thick as a Brick“ reicht es mir aber, dass mein Freund Uli sich die neue LP kauft. „A Passion Play“ überspiele ich auf Band. Die Aufteilung in A und B-Seite verliert sich dabei, macht aber nix. Teil 2 hat als Aufmacher diese Story vom schusseligen Hasen, der seine Brille verloren hat. Wir verstehen, wie gesagt nicht viel, finden einfach den Slang interessant. Später entpuppt sich das meiste als Nonsens. Jetzt, 2022, dieses Film-Fundstück: skurriler Sommernachtstraum mit dem Leibhaftigen als Reporter. Ich mag diesen britischen Humor.

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Once in a Lifetime – A Passion Play*

Vor dem Passionstheater


Bereits in meiner Kindheit wird mir auf Urlaubsreisen diese Passionssache zugeraunt. Ein legendäres Schauspiel, das nur alle zehn Jahre stattfindet – allein die Zeitspanne kann einen Kindskopf gehörig einschüchtern. Und dann diese historische Mär von Pest, Tod und Teufel und dem Dreißigjährigen Krieg, das sollte mich auch später nachhaltig beschäftigen. Die religiöse Gesinnung geht mir aber früh verloren. Nur gelegentlich meldet sich ein spiritueller Rest, den ich mir wiederum pfleglich bewahre, denn als Designer weiß ich, dass man flexibel bleiben muss – bis zum Schluss.

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Berg und Tal

Die Zugspitze im Januar 2020


Lange mussten wir warten auf die Besichtigung der Werkstätten. Über die Coronazeit bleibt die zweite Ausbildung unseres Jüngsten sozusagen hinter verschlossenen Türen. Jetzt sind die „Schulen für Holz und Gestaltung“ in Garmisch-Partenkirchen für uns neugierige Designer eine beindruckend-positive Neuentdeckung. Im Sinne jenes schützenswerten Refugiums ist man versucht, dafür zu sorgen, dass es ein Geheimtipp bleibt, aber da wir nun mal zum Jahrgangsabschluss, mit offenen Türen, einen derart imposanten Einblick erhalten haben, mach ich’s offiziell: eine der coolsten Ausbildungs- und Hochschuleinrichtungen, die ich kenne.

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Weizenfeld mit Kornblumen

Weizenfeld bei Auing


Es gibt herausragende Künstlertypen, die einen jungen Menschen überhaupt erst in das Künstlerische hineinziehen, sodass man erkennt, was einen wirklich ernsthaft interessiert und für sich beschließt, dass Kunst im weitesten Sinn ein größeres Thema im Leben sein soll. So ging's mir mit van Gogh, alias Kirk Douglas, hollywood-episch und in Technicolor. Nicht zu vergessen die Romanbiografie von Irving Stone, ein Taschenbuch, das zerlesen im Regal verstaubt, bis sie sich unser Ältester dann mal als Bahnlektüre in den Rucksack steckt. So vererben sich Hirngespinste.

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Rolandseck – Arp Museum

Sabine im Arp Museum


Mit der Heimat ist das so eine Sache – wenn man nach einiger Zeit mal zurückkommt, weiß man gar nicht mehr so richtig, warum man überhaupt weggegangen ist. Und nach ein paar Tagen reist man auch gerne wieder in die sogenannte zweite Heimat zurück. Wer im Rheinland aufgewachsen ist und in Bayern lebt, kann mit dem Alleinanspruch der Bajuwaren auf Landschaftsidylle nicht viel anfangen, denn der Mittelrhein ist per se zauberhaft genug.

Und das findet dann in der Inszenierung der Hochzeit meines Neffen auch seinen Ausdruck. So mitten in den Weinbergen, bei traumhaft schönem Wetter, mit Blick auf den Petersberg oberhalb und aufs Dorf unten, und ganz unten „fließet der Rhein“. Die Tage zuvor wandern Sabine und ich allein im Siebengebirge, bei glühender Hitze, doch stets im waldigen Schatten. Alles hier ist nun mal eine Spur sanfter, lieblicher, melodiöser vielleicht, die Berge sind aus bayrischer Sicht nur Hügel, einfach nur malerisch, wie von Nazarenern gepinselt … Und der Blick aus 300 Metern Höhe reicht mir völlig, vor allem macht er mir keine Angst. Ein paar lichte Wohlfühltage nach düsteren Erfahrungen.

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„Nebel Leben“

Innehalten im Nebel – Besucherin mit iPhone


Über das Haus der Kunst in München hege ich einen tiefen Argwohn, da bin ich wohl nicht der Einzige. Mag aber auch sein, dass Andere den gruseligen Nazitempel regelrecht imposant finden. Das wuchtige Raumangebot eignet sich ja besonders für Künstler*innen mit großer Wasserverdrängung, also Herrschaften, die viel Platz gewohnt sind. Wie beispielsweise die altehrwürdige japanische Künstlerin Fujiko Nakaya, zu deren Lobpreisung man aktuell das halbe Haus der Kunst leergefegt hat. Vielleicht können ihre flüchtigen Schwaden dieser seelenlosen Architektur ja wieder etwas Leben einhauchen. Und womöglich ist das Palindrom des Ausstellungstitels auch so gemeint.

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