Hania Rani – Home

Freitag der 13. im Bosco, Gauting


Manche Menschen maulen gerne mal am Fernsehprogramm rum, aber ich finde da ganz oft Beiträge, die sich wirklich lohnen. Hania Rani hätte ich wohl nie entdeckt, wenn nicht in der arte-Mediathek: „Piano Day“ am 1. März in der Pariser Sorbonne. Beeindruckend, wie virtuos die junge Dame da ihr im Halbkreis aufgebautes Instrumentarium bedient: Klavier, Flügel, Fender-Rhodes und Synthesizer. Gleich mal auf der Website nach den Tourdaten der jungen Künstlerin geschaut, die augenscheinlich auf dem ganzen Globus präsent ist, aber nicht in München – kurioserweise tatsächlich im Nachbarort Gauting. Einen Tag vor ihrem Konzert in der Elbphilharmonie bespielt sie also die Vorstadtprovinz? Dort muss wohl ein gut vernetzter Kulturmensch residieren. Der eher kleine Konzertsaal ist recht professionell ausgestattet, die Akustik ganz passabel. Erwartungsgemäß ausverkauft.

So kommen ich zu einem feinen Abschluss meiner Geburtstagswoche – ein Abend mit Klangzauber und viel Bühnennebel – Letzteres für die Räumlichkeiten etwas überdosiert. Die Atmosphäre ist dafür fast so intim wie im Jazzclub. Wunderbar, so nah dran zu sein.

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otl aicher, jahrgang '22

Original- Eintrittskarte der Olympiade '72


Heute wäre Otl Aicher 100 Jahre geworden. Da dieses Jahr die Münchner Olympiade ebenso ihr 50-Jahre-Jubiläum feiert, lässt sich leicht ausrechnen, dass Aicher im Jahr 1972 als künstlerischer Leiter dieses sportlichen Großereignisses, zuvor noch seinen Fünfzigsten feiert. Er und sein Team schaffen ein beeindruckendes Gesamtkonzept, beispielhaft für die neue „Visuelle Kommunikation“, ein ganz moderner Begriff in den Siebzigern. Toll, wenn nun einige Plakate im Nachdruck erhältlich sind, ich bin aber froh, mir vor langer Zeit ein paar Originale beschafft zu haben. Deren Anblick freut mich jeden Tag wenn ich ins Büro komme. Manchmal werde ich gefragt, ob das meine Arbeiten sind, dann verweise ich kleinlaut aufs Datum im Logo – da war ich gerade mal fünfzehn.

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Superhelden – Comics als Therapie?

Wastl Band 7 – 90 Pfennig


Comics sind eigentlich nicht so mein Fall. Die waren in unserer Kindheit ohnehin verpönt, aber auch nicht so explizit verboten, dass sie dadurch besonders begehrlich gewesen wären. Aus dem obligaten Asterixlesen bin ich nach Goscinnys Ableben ausgestiegen. Jetzt werden die allerneuesten Bände in der Süddeutschen Zeitung derart bejubelt, dass ich darauf reinfalle, mir ein Heft kaufe und es gleich wieder bereue. Seltsam auch, dass sich ein Genre wie die Graphic-Novel so im Zeitgeist etabliert hat. Als Designer und Illustrator sollte mir das allerdings gefallen. Tut's auch, aber hoffentlich verdienen die Berufskolleg*innen was dran. Ich habe da so meine Zweifel.

Wie auch immer, neulich sehe ich auf arte eine Doku über Hergé und dann reden wir im Freundeskreis über all den Kram, der damals hierzulande als Schund gilt und zeitgleich im belgisch-französischen Ausland schon längst gefeiert wird. Die Gedanken an kindische Zeiten mit „Wastl“-Heften tun mir gut und mein düsteres Gemüt hellt sich etwas auf.

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Calligraffiti in dunklen Zeiten

Erster Versuch einer Neunjährigen


Wenn man erwachsene Kinder hat, ist die Erinnerung an Kindergeburtstage ganz weit weg. Dass solche Events aber auf die Kondition gehen, weiß man noch. Allein die Geräuschkulisse verlangt eine gewisse „Resilienz“, wie man heute sagt. Wenn sich nun ein Kalligrafie-Workshop mit dem Format Kindergeburtstag kreuzt, ist die oben genannte Münchner Ferienfreizeit mit 9 bis 11-Jährigen ganz gut beschrieben. Die acht Stunden werden mit Spielpausen, beaufsichtigt durch Betreuer*innen, aufgelockert. Es ist lustig, überraschend, lehrreich, anstrengend und auch anrührend.

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Das Eismeer †

Bildquelle Wikimedia Commons


In der späten Kindheit des Malers Friedrich gibt es jene tragische Episode, die als Schlüsselereignis gilt: Als der 13-jährige Caspar David im Winter beim Schlittschuhlaufen ins Eis einbricht, rettet ihn sein jüngerer Bruder, zieht ihn aus dem eisigen Wasser, rutscht dabei selbst hinein und ertrinkt. Der Überlebende wird die Bilder dieses schicksalhaften Wechselspiels nie wieder los.

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Vom Zauber der Erkenntnis

Fotovorlage: AdobeStock


„Es gibt nicht eine Welt, es gibt nicht eine Wirklichkeit, sondern die Wirklichkeit ist durchlässig wie eine dünne Eisdecke. Wir können durchrutschen in die Katastrophe oder zu den glücklichen Zwergen, die sozusagen andere Gesetze haben.“ – Alexander Kluge, Filmemacher


Wie man in eine Katastrophe durchrutschen kann, müssen wir hier nicht ergründen. Haben wir die letzten beiden Jahre allesamt, wenn auch individuell sehr verschieden, erleben können. Also gleich weiterschlittern zu den glücklichen Zwergen! Was nun keinesfalls ironisch abwertend gemeint ist, sondern mit allem romantischen Respekt vor Menschen mit einsamer Mission.

Einer dieser bemerkenswerten, stillen und etwas kauzigen Menschen ist Wilson Bentley, ein Farmer aus dem kleinen Örtchen Jericho in den Vereinigten Staaten von Amerika, der schon als junger Mann in seiner Scheune einer seltsamen Leidenschaft nachgeht. Der „Snowflake Man“ beschäftigt sich in seiner gesamten Freizeit mit dem Fotografieren von Schneekristallen, was Ende des 19. Jahrhunderts reichlich schräg und zudem technisch ein Ding der Unmöglichkeit ist. Als es dem 20-jährigen Wilson dann am 15. Januar 1885 zum ersten mal gelingt mit seiner Eigenkonstruktion aus Plattenkamera und Mikroskop ein einzelnes Schneekristall festzuhalten, ist er mit seinen Glücksgefühlen völlig allein auf der Welt. Denn seine sozialen Kontakte sind dürftig – bis auf etwas Klarinette spielen im dörflichen Musikverein – und Schnee an sich ist nicht sonderlich beliebt bei den übrigen Milchbauern.

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Albrecht, das Flüchtlingskind

Der berühmteste Sohn der Stadt


Die Öffnungszeiten des Dürerhauses sind etwas knapp bemessen, wenn man auf der Rückfahrt aus dem Rheinland und nach Staumeldungen spontan einen Abstecher nach Nürnberg macht, weil das Wetter so schön ist. So stehen wir also ausgerechnet hier vor verschlossenen Riegeln, obwohl der Hausherr im Familienwappen¹ zwei geöffnete Türflügel führt. Omen est nomen, denn der aus Ungarn eingewanderte Papa – auf der Flucht vor osmanischen Repressalien – stammt aus einem Dorf namens Ajtó, was auf Deutsch Tür heißt und ihm den Familiennamen Thürer einbringt, den man in Franken natürlich möglichst weich ausspricht, denn ein T gibds ned im frängischen Alwabed. Vater und erster überlebender Sohn heißen Albrecht, der Jüngere wird der größte deutsche Künstler aller Zeiten. Stolze Leistung für ein Flüchtlingskind, aus heutiger Sicht ein wahres Integrationswunder.

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Joseph Beuys, Jahrgang '21

Foto: IMAGO / Sven Simon


Die Aura des Joseph Beuys ist immer noch beachtlich, wenngleich sich der Nebel um ihn herum so langsam verzieht, denn maßgebliche Legenden, die er selbst um sich herum gefilzt hat, haben sich nun mal als Hirngespinste entpuppt. An Beuys wird dennoch immer das Schamanenhafte kleben bleiben, was am 60er-Jahre-Fluxus-Gedöns liegt mit dem alles angefangen hat – eine Performance ist dem Wesen nach ein Jahrmarktsspektakel, wird über das Theatralische gern zum Mythos. Da mag man scheinheilig die Erbauung seitens des Publikums zurückweisen, die Leute machen’s trotzdem. So ist die menschliche Natur, man folgt andächtig, wohnt staunend dem Ritual bei, lässt sich erschrecken oder verzaubern. Der Kunstmarkt arbeitet wie der Finanzmarkt mit Schall und Rauch. Und so gehört die geheimnisvoll umgebaute Biografie notwendigerweise zum Konzept, weil sie sowohl der Einstimmung auf die Kunst, als auch zu deren Werterhalt beträgt.

In „Werk ohne Autor“, ein beeindruckender wie umstrittener Film über den Beuys-Schüler Gerhard Richter, werden entsprechend noch mal schnell beliebte Beuys-Mythen inszeniert. Aber jetzt, wo sein Lebenswerk in der Welt ist, funktioniert es natürlich auch ohne die Tataren-Fake-Story.

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Good Morning America!

Fotovorlage: AdobeStock


„Yeah, there's a monster on the loose, It's got our heads into the noose
And it just sits there watchin' …“ Songtext © 1969 Steppenwolf

Mit dem freilaufenden Ungeheuer ist nicht der gähnende Steppenwolf gemeint, hier kam mir nur wieder die gleichnamige Band aus Kalifornien in den Sinn, mit ihrem überlangen Song „Monster“, der auch aus heutiger Sicht einen recht brauchbaren Text hat. Hab' mich die letzten vier frustrierenden Jahre gelegentlich mit der amerikanischen Musik meiner Jugendzeit getröstet, Woodstock rauf und runter, Jimi Hendrix, Santana, CCR, das geniale Musical „Hair“. Die Popkultur der Achtundsechziger und frühen Siebziger hatte ja was vermeintlich Progressives. Man konnte sich die Stars and Stripes dekorativ ins Jugendzimmer hängen und gleichzeitig damit gegen den Vietnamkrieg demonstrieren. Auch potenzielle Wehrdienstverweigerer trugen die Schulbücher in US-Army-Packtaschen und liefen nato-oliv im Parka herum. Jugendliche Schwärmerei und Anti-Amerikanismus in einem, aus der Perspektive der eigenen kleinen, heilen Welt. Vielleicht dachte man, die ruppigen Rockbands werden das mit ihren markigen Ansagen von der Bühne aus schon regeln.

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Die Freiheit erhellt die Welt ;-)

Foto: AdobeStock


„Manchmal kommt mir in den Sinn / Nach Amerika zu segeln / Nach dem großen Freiheitsstall / Der bewohnt von Gleichheitsflegeln / Doch es ängstet mich ein Land / Wo die Menschen Tabak käuen / Wo sie ohne König kegeln / Wo sie ohne Spucknapf speien …“ – Heinrich Heine, 1851


Liberty Enlightening the World – so lautet der offizielle Titel der Freiheitsstatue auf Liberty Island. Kann man mit „erhellt die Welt“ übersetzen oder auch „erleuchtet“, das gibt im Deutschen nach meine Gefühl den schöneren Doppelsinn. Nicht zu vergessen, dass mit „enlightenment“ natürlich die Aufklärung gemeint ist. Alles passt gut, wenn man fürs neue Jahr seiner Hoffnung Ausdruck verleihen möchte, dass nach den überstandenen vier Jahren American Nightmare unsere Schutzmacht nun langsam wieder zur Besinnung kommt. Noch genau einen Monat Geduld, dann geht das Licht wieder an. So ist mir zum Jahresende nach einer nostalgischen Farbgebung, eine digital nachkolorierte Retrospektive sozusagen, in der die verklärte Vergangenheit ein wohliger Spaziergang ist durch die Bilderwelt einer glückseligen nordatlantischen Bruderschaft.

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