„Schönheit wird die Welt retten“

Foto: AdobeStock


Das berühmte Zitat über die Schönheit gibt es in mehreren Variationen, ursprünglich nachzulesen im Roman „Der Idiot“. Dort heißt es wie hier oben in der Headline, kommt dann noch modifiziert in anderen Dostojewski-Texten vor und ist, da aus dem Russischen übersetzt, in seiner romantischen Gestalt etwas unzuverlässig – die Botschaft allerdings bleibt stets dieselbe. Mir begegnet der Satz zuerst in einem TV-Feature über eine russische Geigerin. Das alles ist mindestens zehn Jahre her, den Namen der jungen Künstlerin habe ich vergessen, an die Typografie des Beitrags aber kann ich mich fotografisch genau erinnern und deshalb bleibe ich bei meiner Fassung „Nur die Schönheit kann die Welt retten“, auch weil ich finde, dass es schöner klingt. Und darum geht’s ja schließlich.

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Totentanz in modernen Zeiten


Apropos Sensenmann. Es gibt in Thomas Manns Zauberberg eine Stelle, wo der Romanheld seinen Arzt bittet, kurz die eigene Hand hinter dem Röntgenschirm betrachten zu dürfen. Das war noch vor dem ersten Weltkrieg und ist darum für den feinnervigen Patienten unfassbar spektakulär:

„Und Hans Castorp sah, was zu sehen er hatte erwarten müssen, was aber eigentlich dem Menschen zu sehen nicht bestimmt ist, und wovon auch er niemals gedacht hatte, dass ihm bestimmt sein könne, es zu sehen: er sah in sein eigenes Grab.“ – … Den Satz muss man sich selbst vorlesen und würdig, mit herabsinkender Stimme ausklingen lassen. Wer das Morbide mag, genießt diesen wohligem Grusel. Frei von Angst, allein aus schwermütiger Neugier heraus einmal kurz seine potentiellen Überreste anstarren und ins Grübeln verfallen. Mir gefällt sowas.

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„Jede Zeichnung ein Blitzkrieg“

Foto: IMAGO / Hans Lucas


Heute ist Tomi Ungerer gestorben. Jüngster Spross eines Straßburger Uhrmachers und Fabrikanten für Turmuhren, welcher darüber hinaus für die astronomische Uhr des Münsters zuständig war. Wenn ein Leben mit einer solchen Parabel beginnt, muss was draus werden. Tomi Ungerer wurde einer der berühmtesten Zeichner der westlichen Welt. Ein Schriftsteller, Illustrator und Werbegrafiker, der mir mit seinem Gesamtwerk immer hundertprozentig sympathisch war, ohne dass mir alles gefallen hätte. Ein Charakter, der mich in seiner politischen und (a)moralischen Ausrichtung überzeugt, was ich aber auf die Schnelle nicht so leicht erklären kann. Ein wirklich grandioser Spiegel-Artikel nimmt mir die Arbeit ab. Hier ist alles geschmeidig aneinander gereiht, was mir selbst spontan nicht einfällt – und bei der Headline hätte ich zumindest gezögert …

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Schön ist die Jugend


Der Maler und Grafiker Heinrich Vogeler (1872-1942) ist eine tragische Person und irgendwie auch eine Symbolfigur des Jugendstils, von den rauen Winden des neuen Jahrhunderts verweht. Die Zeichnungen des Illustrators begegnen mir früh in den liebevoll aufgemachten Publikationen des Inselverlages. Im Gegensatz zu seiner etwas betulichen Malerei ist seine Grafik ganz im Sinne der britischen Arts and Crafts, locker und elegant, mit klarer, auch verschwenderischer Linienführung, dem jung verstorbenen Engländer Beardsley fast ebenbürtig. Vogeler führt als reicher, junger Mann und Familienvater im Worpsweder Künstlerdorf ein Leben wie im Bilderbuch. Gestaltet die aufwändigsten Bücher, Möbel, Dinge des kunstgewerblichen Alltags, Tapeten, Schnickschnack, alles was das Herz entzückt. Ein Leben für die schöne Form. Bis ihn Zweifel an seinem Talent und seiner elitären gesellschaftliche Stellung in die Lebenskrise driften lassen. Letztlich werden ihn der Erste Weltkrieg und die Trostlosigkeit der sozialen Frage zermürben. Der Sozialist stirbt in Armut und Elend in einer Kolchose in Kasachstan. Sein Grab ist unbekannt.

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Und ruhig fließt der Rhein

Blick vom Drachenfels auf Nonnenwerth


Die Dinge bestimmen unser Verhältnis zur Welt. Der Mensch definiert sich radikal neu, seit er sein Leben nicht mehr nach dem natürlichen Licht, sondern nach einem Ding wie der Uhr ausrichtet. Zudem markiert der Entwicklungsstand von Technik und Medien eine emotionale Trennlinie zwischen den Generationen. Man mag sich noch so digital-logisch bemühen, ist der Antrieb dem Geburtsjahr zufolge analog-sozial-romantisch, wie in meinem Fall, dann bleibt er auch so. Aus meiner glücklichen Kindheit wirken darum zwei Dinge nostalgisch nach. Das ist zum einen ein warmtönendes Radio und zum anderen eine Küchenuhr mit ihrer eigenen Darstellung vom Lauf der Zeit.

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Bauhaus 1919 – Gedanken zum Jubiläum

Sondermarke aus dem Jahr 1983


Engagierte Kunstschulen, vor allem solche, die das gesamte Spektrum des Designs, das Kunstgewerbe und die Architektur mit einbeziehen, haben für mich etwas sehr Friedvolles und Glückverheißendes. Eine goldene Zukunft erwartet die Gesellschaft, die sich ein solches Experimentierfeld leistet und vermeintlich nichtsnutzigen Menschen das Vertrauen schenkt, sich um die Vernetzung von Volkswirtschaft und Kultur zu kümmern. Eine Zukunft der gegenseitigen Wertschätzung und Besinnung auf die Schönheit des Lebens, meist als Rück-Besinnung auf die zuvor selbst und leichtfertig zerstörte eigene Hochkultur. Nicht selten, dass solche „Musentempel“ nach überlebten Kriegstraumata gegründet werden, wie das Bauhaus in Weimar nach dem Ersten Weltkrieg oder die Ulmer Hochschule für Gestaltung nach dem Zweiten Weltkrieg.

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Die Welt von oben gesehen

Bildquelle Wikipedia


„Wenn der liebe Gott sich im Himmel langweilt, dann öffnet er das Fenster und betrachtet die Boulevards von Paris.“ Heinrich Heine, 1832 – für die Augsburger Allgemeine


Der Blick aus dem Fenster auf die Geschäftigkeit der Anderen gehört den Neugierigen, den Tagträumern oder Tagedieben. Es ist die Perspektive des Künstlers, der schon wieder mal vier Stunden später aufgestanden ist als die übrigen Zeitgenossen. So stellt auch Louis Daguerre eines schönen Tages seinen Holzkasten auf die Fensterbank, macht den Objektivdeckel ab und lässt den Dingen seinen Lauf. Dass im Ergebnis, außer den Immobilien, nichts auf der Glasplatte übrig bleibt, ist die eigentliche Ironie der Zeit oder besser der Zeitkonstante. Weniger geheimnisvoll formuliert, es ist die Belichtungszeit, die das Wesentliche verschluckt und das Nebensächliche konserviert. Nur der stoisch vor sich hin werkelnde Schuhputzer und sein geduldiger Kunde werden im Kontinuum eingefangen, alle Anderen sind dem Fotokünstler davongehuscht.

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In Flanders Fields


Der Königsplatz hat schon ein ganz besonderes Flair, erhaben und bizarr zugleich in seinem typischen Wittelsbacher Klassizismus. Seit Wochen entsteht auf den Wiesenflächen eine wundervolle Installation. Heute nun die Gedenkveranstaltung anlässlich des 100. Jahrestages des Endes des Ersten Weltkrieges. Im Mittelpunkt steht jetzt diese Kunstaktion mit 3.400 Klatschmohnblumen, die als Symbol für die gefallenen Soldaten und die Schrecken des Krieges stehen. Die rote Farbe der Mohnblumen, die in einem Meer auf dem Platz verteilt sind, erinnert an das vergossene Blut und die Opfer, die der Krieg gefordert hat. Eine kraftvolle, wenn auch entlehnte Metapher, die dazu einlädt, innezuhalten und über die Bedeutung von Frieden und Erinnerung nachzudenken.

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Deutschland ohne Sommermärchen


In der Nacht an Deutschland zu denken, bringt einen ja bekanntlich um den Schlaf. Wie tröstlich, Freunde zu haben, die einen frühmorgens erheitern, noch dazu, wenn sie zwei Karten fürs Stadion haben. Weltmeister Frankreich trifft auf Looser Germany. Kein Freundschaftsspiel – das gab’s vielleicht früher mal. Die neueste Erfindung heißt Nations-League. Nun gut, nicht gleich wieder negativ werden!

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1648 – Lang erhoffte Friedenstaube

Bildquelle Wikimedia Commons


Fünf Jahre schließlich dauert der Kongress zu Münster und Osnabrück. Im Ergebnis wird der Westfälische Frieden die maßgebliche diplomatische Referenz für alle späteren Konflikte in Europa. Selbst aus heutiger Sicht ist der Vertragsumfang monströs und detailverrückt. Da fällt einem spontan die Stammtisch-Parole von der europäischen Überregulierung ein. Ein absurder, aber immer wiederkehrender Vorwurf an ein normales Vertragsgefüge. Denn wie bitte sollen alle Interessen gewahrt werden, wenn man sie nicht glasklar definiert und verbindlich aufschreibt? Die so flapsig geforderte Großzügigkeit beim Abfassen von Verbindlichkeiten bezieht sich auch meist auf die Interessen der Anderen. Die eigenen Anliegen dagegen hat man gerne ausführlich getextet, in Schwarz auf Weiß, um sie getrost nach Hause zu tragen. Die Forderung nach simplen Konzepten zeugt vom Unverständnis für das komplizierte zivile Leben – wenngleich die ein oder andere Unternehmensberatung genau das vorschlagen würde. Im Falle des Westfälischen Friedens ist auch leider keine win-win-Situation mehr drin.

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