Rolandseck – Arp Museum

Sabine im Arp Museum


Mit der Heimat ist das so eine Sache – wenn man nach einiger Zeit mal zurückkommt, weiß man gar nicht mehr so richtig, warum man überhaupt weggegangen ist. Und nach ein paar Tagen reist man auch gerne wieder in die sogenannte zweite Heimat zurück. Wer im Rheinland aufgewachsen ist und in Bayern lebt, kann mit dem Alleinanspruch der Bajuwaren auf Landschaftsidylle nicht viel anfangen, denn der Mittelrhein ist per se zauberhaft genug.

Und das findet dann in der Inszenierung der Hochzeit meines Neffen auch seinen Ausdruck. So mitten in den Weinbergen, bei traumhaft schönem Wetter, mit Blick auf den Petersberg oberhalb und aufs Dorf unten, und ganz unten „fließet der Rhein“. Die Tage zuvor wandern Sabine und ich allein im Siebengebirge, bei glühender Hitze, doch stets im waldigen Schatten. Alles hier ist nun mal eine Spur sanfter, lieblicher, melodiöser vielleicht, die Berge sind aus bayrischer Sicht nur Hügel, einfach nur malerisch, wie von Nazarenern gepinselt … Und der Blick aus 300 Metern Höhe reicht mir völlig, vor allem macht er mir keine Angst. Ein paar lichte Wohlfühltage nach düsteren Erfahrungen.


Heimat-Soundtrack: Was gibt es Schöneres als Schumanns zweiten Satz aus der Rheinischen Sinfonie?

Hans Arp vs Richard Meier

Zwischen Standesamt und Kirche haben wir zwei Tage Pause, wechseln einmal mit der Fähre die Rheinseite und das Bundesland für einen Ausflug nach Rolandseck ins Arp Museum. Davon sind ja alle berauscht und das völlig zu Recht. Reinland-Pfalz hat sich das was kosten lassen und Stararchitekt Richard Meier hat, nach langem Hin und Her, ein imposantes Gebäude geliefert. Der gewaltige Neubau ist seltsamerweise, trotz Hanglage, vom historischen Bahnhof aus fast unsichtbar, so entwickelt sich dem Publikum keine Vorstellung vom Innenleben. Von unten geht’s durch den Bahnhof hinein und über Tunnelgänge, Aufzüge und ein Monstrum von Wendeltreppe verliert man prompt die Orientierung. Die Exponate von Herrn und Frau Arp sind für uns Designer*innen nicht uninteressant, wirken aber fast ein wenig bedeutungslos in diesem weitläufigen Ambiente. Vor allem ist für Wechselausstellungen vorgesorgt. Im Video ist alles anschaulich dokumentiert.

Der neoklassizistische Bahnhof war immer schon ein Juwel, die neue Architektur ist eine Sensation! Einerseits ein funktionaler Museumsbau, der feine Strukturen, Räume und Stellflächen für jegliche Kunst bietet, andererseits ist von innen heraus die äußere Landschaft in Szene gesetzt. Selten erlebt, eine derart lenkende Architektur, die permanent animiert, aus ihr herauszuschauen – weil’s eben draußen so romantisch ist. Ich wiederhole mich gern ;-)


Film über das Arp Museum Bahnhof Rolandseck von David Wesemann und Anabel Runge,
2015 © Arp Museum Bahnhof Rolandseck, 15:50 min


Flashback: Die Zweite Heimat

Am Bahnhof Rolandseck muss ich zwangsläufig an Edgar Reitz' Filmepos „Die Zweite Heimat“ denken. In Folge 5: „Das Spiel mit der Freiheit“ bleibt die Hauptfigur der dichtenden und ziemlich überdrehten Studentin Helga an diesem Ort für eine bedeutsame Szene kurz hängen. Auf der Semsterferienheimreise von München aus in ihre Heimatprovinz, erblickt sie bei der Durchfahrt auf dem Bahnsteig gegenüber ihre Freunde von der Filmhochschule beim Dreh. Sie fährt daraufhin vom nächsten Bahnhof Bonn „mit dem Bummelzug“ wieder zurück nach Rolandseck, findet jetzt aber alles einsam und verlassen vor. Übrig sind nur noch die Spickzettel der Schauspieler an den Pfeilern, pseudointellektuelle Phrasen, die Helga jedoch in hektischer Begeisterung liest und darauf sogar noch eine eigene Antwort kritzelt, bevor sie ihre Reise in der geplanten Richtung fortsetzt. Niemand anders wird all diese Zettel noch lesen, eher wird sie wohl irgendwann der Wind verblasen. Eine sympathische Miniparabel über einen dieser geschenkten und leider doch verpassten Momente im Leben – und wie man das mit trotziger Poesie, ganz für sich alleine, verarbeiten kann.


Zettel am „Drehort Rolandseck“

Wenige Generationen genießen den Luxus, die Freiheit wie ein Spiel auszuleben, völlig unbedarft, was ein unglaubliches Glück bedeutet, aber auch ziemlich in die Hose gehen kann. Und es sagt einiges aus über Charaktere, denen es egal ist, ob irgendjemand liest, was man geschrieben hat. Schließlich gehöre ich selbst dazu. Vom melancholischen Déjà vu beeindruckt, muss ich aber tags drauf bei der eigentlichen Hochzeitsfeier vom Drehort Rolandseck erzählen und im kleinen Kreis kommt zum Thema die Frage auf, ob es tatsächlich eine Zweite Heimat gibt. Man ist sich ungewohnt schnell einig. Die Antwort lautet: eher nein.

PS: Heimat 2 Reloaded, 18.09.2022

Habe mir noch mal alle 13 Folgen der Zweiten Heimat der Reihe nach angesehen, mich in eine persönlich gute Zeit zurückgeschickt. Der alte Enthusiasmus lässt sich aber auf die Schnelle nicht so leicht abrufen. Die Gründe, weshalb uns Filme, die uns früher beeindruckt haben, im Alter oft etwas banal vorkommen, liegen wohl darin, dass man an Erfahrungen reicher und um Illusionen ärmer geworden ist. Im Klartext: man hat soviel gelesen, gesehen, gehört, hat höhere Ansprüche – und eben, über eine altersgemäße Ernüchterung reduziert sich das Wohlwollen und damit das Wohlgefallen. Die entscheidende Grundvoraussetzung beim Erleben von Kunst.


Trailer der restaurierten Fassung von 2022

Im Erscheinungsjahr ‘92 kann ich mich subjektiv mit der Zeit und vielen Filmfiguren identifizieren. Das ist nach sage und schreibe 30 Jahren leider neutralisiert. Man ist der Sache gegenüber auf fast sterile Weise kritisch, fühlt sich in einer Art Kontrollmodus. Die meisten Dialoge gefallen mir nach wie vor, einige jedoch sind etwas hölzern. Mit der „Neuen Musik“, die ja einen breiten Raum einnimmt, kann ich immer noch nichts anfangen, insbesondere die Gesangseinlagen der Hauptfigur Clarissa muss ich auf der DVD überspringen. Doch allein das Phänomen, dass mir ganze Szenenfolgen immer noch glasklar präsent sind, ist ein Indiz dafür, wie bedeutsam das Werk von Edgar Reitz für mich ist.

Die Folge 6, „Kennedys Kinder“ beschäftigt mich immer noch sehr, darauf sollte ich gelegentlich zurückkommen – vielleicht im traurigen Monat November?

PS am 22.11.22 Gesagt – getan