Schön ist die Jugend
Der Maler und Grafiker Heinrich Vogeler (1872-1942) ist eine tragische Person und irgendwie auch eine Symbolfigur des Jugendstils, von den rauen Winden des neuen Jahrhunderts verweht. Die Zeichnungen des Illustrators begegnen mir früh in den liebevoll aufgemachten Publikationen des Inselverlages. Im Gegensatz zu seiner etwas betulichen Malerei ist seine Grafik ganz im Sinne der britischen Arts and Crafts, locker und elegant, mit klarer, auch verschwenderischer Linienführung, dem jung verstorbenen Engländer Beardsley fast ebenbürtig. Vogeler führt als reicher, junger Mann und Familienvater im Worpsweder Künstlerdorf ein Leben wie im Bilderbuch. Gestaltet die aufwändigsten Bücher, Möbel, Dinge des kunstgewerblichen Alltags, Tapeten, Schnickschnack, alles was das Herz entzückt. Ein Leben für die schöne Form. Bis ihn Zweifel an seinem Talent und seiner elitären gesellschaftliche Stellung in die Lebenskrise driften lassen. Letztlich werden ihn der Erste Weltkrieg und die Trostlosigkeit der sozialen Frage zermürben. Der Sozialist stirbt in Armut und Elend in einer Kolchose in Kasachstan. Sein Grab ist unbekannt.
An den Frühling – Heile Welt
In seinem lesenswerten Roman „Konzert ohne Dichter“ schreibt Klaus Modik über genau diese Phase, in der die heile Welt und das Selbstbild Heinrich Vogelers zerbrechen. Demgegenüber steht der Charakter seines Weggefährten Rainer Maria Rilke, der selbstbewusst bis selbstverliebt seine junge Karriere verfolgt, die Kunst über alles stellt. Dass Rilke, der eine Zeit lang dem Worpsweder Zirkel angehört, in diesem literarischen Versuchsaufbau den Kotzbrocken gibt, wird seine Fans verärgern, ist aber plausibel. Es geht um den Vergleich beider Künstlertypen, dem zielstrebigen Selbstdarsteller und dem orientierungslosen Talent. Das Kunstverständnis des Dichters erhebt ihn aus dem trivialen Leben, macht ihn zunehmend unverwundbar, während Vogeler immer mehr der Kunst misstraut und an seiner subjektiv empfundenen Nutzlosigkeit verzweifelt.
Vogeler, der Mann des Schönen, wird es nicht schaffen diese positive Kraft für sich zu retten, weil er es nicht gelingen kann, den sozialen Widerspruch aufzulösen. Er, der einmal auszog, das Glück der Erde zu erleben, sieht nun das Elend des Krieges und die soziale Ungerechtigkeit im Zivilen. Der dadurch überzeugte Pazifist macht sein Anwesen zur sozialistischen Kommune, scheitert und übersiedelt letztlich nach Moskau, um am Aufbau einer vermeintlich besseren Gesellschaft mitzuwirken. Seine Kunst wird allerdings nie überzeugen, weil die Ästhetik in seinen Bildern befremdet. Dass sein Leben im sowjetischen Propaganda-Gepinsel endet ist allzu symptomatisch. Wie authentisch wirken die kraftvollen Zeichnungen einer Käthe Kollwitz und wie zerbrechlich dagegen Vogelers Werke, die das Leiden der Frauen zwar ausdrücken wollen, aber nicht können, weil sie zu schön sind um wahr zu sein. Vogeler will, aber kann keine expressiven, anklagenden Bilder malen, sein Wesen ist schlicht dafür nicht geschaffen. In der grausamen ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat das Gemüt der Freigeister und Lebensreformer keine Chance.
Man mag es müßig finden, darüber zu spekulieren wie sich die Künste entwickelt hätten, wäre es zum Ersten und Zweiten Weltkrieg nicht gekommen. Ich empfinde es geradezu als Verpflichtung sich diesem Gedankenmodell hinzugeben, um sich beispielsweise einmal auszumalen, wie märchenhaft schön Deutschland in heutiger Zeit hätten sein müssen. Wir wären nicht die Kinder von Kriegsmonstern und würden in malerischen Städten leben! Denn was wird nicht alles aus perverser Blödheit in kurzer Zeit zerstört, weil wir uns einbilden, nach großen Umwälzungen entstünde das Gute und Schöne wieder ganz von selbst. Der Geist des 19. Jahrhunderts hält sich bis heute in launigen Kalendersprüchen: „Große Zeit ist es immer nur, wenn's beinah schief geht, wenn man jeden Augenblick fürchten muss: Jetzt ist alles vorbei.“ Dieser vieldeutige Aphorismus, wie geschaffen für eine Tischrede, ist Fontane zugeschrieben. Ein Missverständnis, denn wie so oft, ist das nicht die private Meinung des Autors, sondern die seiner Romanfigur – hier schwärmt ein Veteran von Krieg und Courage. Ohne Pulverdampf wohl keine große Zeit.
Ein Radierzyklus aus dem frühen Kunstschaffen Vogelers, die Mappe „An den Frühling“, zeigt die Arglosigkeit vor der Apokalypse. Auffällig das Blatt mit seinem Selbstporträt. Eine stille, das Format beherrschende Figur, wie Hänschen klein mit Stock und Hut. In fast kindlicher Perspektive etwas Landschaft am unteren Blattrand und ein winziger Vogel, der gerade dabei ist aus dem Blickfeld zu fliegen. Es gibt auf diesem Bild nicht viel zu sehen und trotzdem kann man darüber lange nachdenken. Eine kompakte Symbolwelt der kindlichen Tagträumerei, das Glück des Moments, die Freiheit und der stumme Dialog mit diesem Namensvetter aus dem Tierreich. Es wird dem aufrichtigen Vogeler nie gelingen seinen Frieden zu finden. Und in der letzten Phase seines Lebens gib es nur die Wahl zwischen zwei totalitären Systemen, in denen ein einzelnes Leben überhaupt keinen Wert mehr hat. Vogelers Leben und Arbeiten hat meine ganz große Zuneigung. Ich mag solche verzweifelten Menschen. Sie sind so ganz anders als die vorlauten Performer, die sich so gerne selber reden hören und denen alles scheißegal ist.
Jugendstil und Schokolade
Warum mir diese Kunst so unterschwellig gut gefällt, obwohl ich es schon lange Zeit besser weiß? Es liegt an den genüsslichen Flashbacks in meine Kindheit, da sind die Nazarenerbilder meiner Oma, die Sammel-Reklamebildchen im Präraffaeliten-Stil. Als Kind liebte ich diese Illustrationen und kindliche Sehnsüchte gibt man nicht auf. Gelegentlich ein Griff ins Schokoladenregal dürfte erlaubt sein – der Jugendstil als süße Notration. Vogelers Schicksal zeigt, wer sich vom Jugendstil mit aller Konsequenz abwendet, riskiert ein Leben ohne Schwärmerei und Wunder, der konfrontiert sich im günstigsten Fall mit der trostlosen Banalität des Lebens und im Worst Case mit seiner nackten Verzweiflung. Schön ist die Jugend, danach muss jeder sehen, wo er bleibt.
Apropos Arts and Crafts: Design is fine. History is mine.