„Wo keine Götter sind, walten Gespenster.“

Sonne, Mond und Finsternis


Das Novalis-Zitat in der Überschrift passt gut in eine Welt, die zunehmend von allen guten Geistern verlassen scheint. Auf einen Götterhimmel voller Psychopathen, wie wir ihn aus den Sagen des klassischen Altertums kennen, können wir ohnehin getrost verzichten. Aber auch die Frage, ob es einen einzigen, allmächtigen Gott gibt, der vielleicht seine Hand schützend über die Menschheit ausstreckt, stellt sich für mich spätestens nach zwei gottlosen Weltkriegen nicht mehr.

Was aber wärmt ein kaltes Herz, in welcher Welt leben wir? Grob eingeteilt gibt es einerseits die Traumwelt der eigenen Sehnsüchte, Wünsche, Vorahnungen und andererseits die „nüchterne“ Realität. Also das, was uns mehr denn je in Form von schlechten Nachrichten erreicht. Auf diese Ernüchterung reagiert der Mensch oft mit Eskapismus – bringt zwar nix, schont aber die Nerven – verbunden mit der Suche nach der eigenen platonischen Ideenwelt, damit einem nachts die Gespenster nicht den Schlaf rauben.


Auf Friedrichs genaue Naturbeobachtung folgt die Neuordnung in der künstlerischen Komposition. Zentral abgebildet ist der kreisrunde Lichthof des Mondes, der Mond selbst erscheint nur als schmale Sichel im Neulicht beim sogenannten Abenderst. Auch der Jupiter wird von einem Hof überstrahlt.

Caspar David Friedrich, Zwei Männer in Betrachtung des Mondes (Bildquelle Wikimedia Commons)
Siehe auch Blog-Artikel über CDF vom 7. Februar 2015: Zu Lande, zu Wasser und in der Luft



Kunst als Antidepressivum – Risiken und Nebenwirkungen ;-)

Vielleicht bietet hier wieder mal die Kunst eine heilsame Zuflucht, zu der man, und das scheint mir wichtig, eine kritische, sozusagen aufklärerische Distanz halten sollte, mit lustvollem Pragmatismus und begrenzter Haftung. Für mich bedient Kunst das poetische Bedürfnis und meinetwegen auch das Seelenleben. Der Verstand aber kontrolliert das wahre Lebensglück! Und bewahrt uns hoffentlich davor, unseren halbwegs gebildeten Geist an irgendeinen faulen, esoterischen Zauber und sonstigen übersinnlichen Kokolores zu verschwenden.

Genau das passiert schnell, wenn die Ernüchterung über das weltpolitische Drama in naiven Trotz umschlägt, in bizarre Verhaltensweisen, in Verschwörungsideologien, man kennt das zur Genüge seit Corona. Der daraus resultierende Konflikt ist beispielhaft für ein Phänomen, das in der Psychologie als „Bestätigungsfehler“ bekannt ist, eine alltägliche Macke, die uns immer zuerst bei anderen auffällt, weil wir im Alltag kognitiv so beschäftigt sind, dass wir eigene Wahrnehmungsverzerrungen kaum wahrnehmen. Bestätigungsfehler rühren daher, dass wir gedanklich eingefahren sind und gerne das bestätigt haben wollen, was wir mit Vorliebe vermuten oder befürchten. Fazit: Wer’s weiß, kann ehrlich zu sich selbst sein und wichtige Dinge einfach gründlicher durchdenken.

Also, bei aller Liebe, man nehme sich auch in Acht vor der Kunst und sorge vor, dass man als Mensch mit künstlerischer „Berufung“ vor lauter Begeisterung nicht den Kürzeren zieht! Nach derzeit gültigen Erkenntnissen leiten uns zwei kognitive Verhaltensmuster: ein schnelles, intuitives System und ein langsames, analytisch-statistisches System. Das eine erfreut sich am Liebreiz der Künste, das andere sagt mir: Die Welt tickt leider ganz anders. – Heine, der geborene Schwärmer und lästerliche Zerstörer der deutschen Romantik, hat schon früh ein Gedicht geschrieben, das die ironische Qualität hat, alle schnulzige Illusion zu verblasen, ohne uns die Freude an der Schönheit zu nehmen:


Wahrhaftig

Wenn der Frühling kommt mit dem Sonnenschein,
Dann knospen und blühen die Blümlein auf;
Wenn der Mond beginnt seinen Strahlenlauf,
Dann schwimmen die Sternlein hinterdrein;
Wenn der Sänger zwei süße Äuglein sieht,
Dann quellen ihm Lieder aus tiefem Gemüt;

Doch Lieder und Sterne und Blümelein,
Und Äuglein und Mondglanz und Sonnenschein,
Wie sehr das Zeug auch gefällt,
So machts doch noch lang keine Welt.


Wenn nicht die ganze Welt, dann vielleicht das private Glück? Wer nun die globalen Verhältnisse tagtäglich auf sich selbst bezieht, hat – je ernsthafter, desto wahrscheinlicher – gute Chancen, zum Misanthropen zu mutieren und seine unmittelbare Umgebung mit seiner trüben Aura zu verdrießen. Gute Freunde können dies jedoch kompensieren. Es ist kein Zufall, dass in Zeiten industrieller Umbrüche der Rückzug in den Mikrokosmos so populär ist, dieser freundliche und zugleich etwas spießige Reflex, der die Nähe des Vertrauten und Gewohnten sucht. Man ist einfach nett zu den Mitmenschen und freut sich über die gespiegelte Sympathie. Ganz ohne Segen von oben.


Wenn der tiefreligiöse Caspar David auf seiner Wanderung mit seinem Freund des Abends den Mond anhimmelt, denkt und fühlt er gewiss ganz anders als ich. Dennoch ist da die Seelenverwandtschaft, synchronisiert durch das bildnerische Werk und über die Generationen hinweg, eine Art ikonischer Gefühlsübertragung. Caspar David Friedrich hat nie einen großen Markt versorgt und in seiner späten Schaffensphase erreicht er kaum ein Publikum, so spielt er ziemlich einsam seine Ideen und Gefühle in die Timeline ein. Heute schauen wir uns seine Werke an und finden daran Gefallen oder nicht. Erstaunlich viele aber lesen aus seiner Bildsprache eine berührende Botschaft. Und allein vermittels der Artefakte überträgt sich das pantheistische Glücksgefühl.

Das Tröstliche, das für mich von seinen Bildern ausgeht, ist mir mittlerweile etwas unheimlich. Denn Ähnliches habe ich eigentlich schon immer empfunden, also ganz ohne düstere Erfahrungen gemacht zu haben. Es scheint, als hätte ich mich in einer seltsam realistischen Vorahnung darauf eingestellt, dass nicht alles gut werden würde im Leben. Dafür braucht’s keine Geister und keine Dämonen.

Experten haben ausgerechnet, dass sich das Bild der beiden Herrn im Anblick des Mondes auf ein bestimmtes Datum festlegen lässt. Und zwar auf den 28. März 1811, ebenso ein Frühlingsabend. Genau dann sei die abgebildete Konstellation zwischen Mond und Jupiter nachweisbar. Das wäre ein sehr poetischer Zufall, wenn man nicht sicher wüsste, dass Friedrichs Kompositionen absolut willkürlich gesetzt sind. Auch die Romantiker verteilen ihre Hirntätigkeit gewissenhaft auf System 1 und System 2, die Intuition geht planvoll über in die Reflexion. Man verarbeitet die Realität und bildet sie nie ohne Eingriff einfach nur ab. – Noch einmal Novalis, der hier eine klare Formel hat, wie man romantisch die Welt vermittelt:


„Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, …“.






Guter Mond – unendlicher Schein

Am meisten beeindruckt vom Mond bin ich möglicherweise am helllichten Tag und dann noch neben dem Türmchen der kleinen Marienkapelle mit dem goldenen Globus auf der Spitze. Ein schönes Bild in perfekter Geometrie, wie ein zurechtgerücktes Tangram, mit beruhigender Sofortwirkung. Vielleicht eine Gelegenheit, dem Gemeinen einen höheren Sinn zu geben?

Alles eher verzweifelte, komplett virtuelle Ablenkungsmanöver, die an der realpolitischen Tristesse natürlich rein gar nichts ändern, schon klar. Um schließlich und endlich alles in den richtigen Kontext zu stellen, sollte der Dichter Novalis dann auch das letzte Wort haben, …


„Begeisterung ohne Verstand ist unnütz und gefährlich.“





PS: Neulich lese ich in der SZ eine schöne Formulierung des Autors Nils Minkmar. In einer TV-Kritik bezeichnet er die Mühen einer Gesprächsrunde als „eine Übung in der deutschen Königsdisziplin: der romantischen Selbstbeschau.“ … mal wieder ertappt ;-)