schönheit?
Mit Schönheit die Welt retten zu wollen, klingt für einen puritanischen Geist vielleicht provokativ. Der Misstrauische misstraut allem und gerade dem Schönen, trotzdem oder weil es ihn anzieht. Er wittert dahinter die Verführung, den Hinterhalt, wenn nicht gar das Böse – zumindest aber die Manipulation, die Oberflächlichkeit. Ersetzen wir den Begriff Schönheit durch Ästhetik, erscheint das Ganze beruhigend funktional und wir betreten wieder den festen Boden unserer humanistischen Welt.
1485 – Venus im Lichtgewande (Bildquelle Wikimedia Commons)
1995 – Reichstag im perfekten Faltenwurf (Foto: IMAGO / Christian Ditsch)
Es ist also durchaus logisch, sich im Zweifel für das Schönere zu entscheiden. Doch nicht selten entscheidet man sich für das vermeintlich Vernünftige, man bescheidet sich, als würde einen der liebe Gott stirnrunzelnd beobachten. Somit hat der maßvolle Ansatz immer auch etwas Verdruckstes. Wer aber wollte im Wettbewerb der Produkte und Ideen ernsthaft auf Mittelmäßigkeit setzen? Und darauf hoffen, dass ihm die Konkurrenz freiwillig aus dem Weg geht?
Abgesehen davon, dass wir als kultivierte Zivilgesellschaft die Dinge ohnehin nicht nur nach ihrer Nützlichkeit bewerten, hat das Schöne an sich bereits einen entscheidenden Vorteil: es ist attraktiv! Verbunden mit der Frage, inwieweit das Schöne zur Lust werden darf. Die bildende Kunst behilft sich mit dem klassischen Trick der griechisch-römisch-göttlichen Nacktheit, zur Not mit dem Feigenblatt. Aber auch in Architektur und Design wird Ästhetik immer wieder kontrovers diskutiert, ob das Schöne nun genussvoll oder verschämt rezipiert wird, ob das Objekt der Begierde nun unverhüllt oder verhüllt sein soll, kann oder darf. Letztlich hängt es von unserem Wohlwollen ab.
Im Grunde ist dieses Wohlwollen der eigentliche Türöffner zu Kunst, Design und Schönheit. Als das Künstlerpaar Jeanne Claude und Christo nach jahrzehntelangem Ringen endlich ihr Projekt „Verhüllter Reichstag“ realisieren, haben einige vielleicht intuitiv verstanden, was monumentale Schönheit in unseren Gemütern bewegt, wie Kunst den Intellekt herausfordert und unsere Fantasie ermutigt. Eine Schwärmerei, die sich selbst bezahlt¹ und uns alle glücklich macht – wenn wir nur wollen.
Eigentlich gibt es kein vernünftiges Argument gegen Ästhetik, Schönheit, gute Form und Designqualität. Drum habe ich manchmal den Verdacht, dass etwas Persönliches dahintersteckt, wenn ich beseelt über meinen Beruf spreche und bei meinem Gegenüber plötzlich Ressentiments aufkommen. Ich gebe zu, dass ich nicht spontan an das Gute im Menschen glaube, schon gar nicht, wenn mir eine gewisse Arroganz entgegenschlägt. Dann tröste ich mich damit, dass hinter der Missbilligung ein neidischer Abwehrreflex steckt. Solche Menschen lassen sich ungern in ein für sie unsicheres Terrain drängen, in ein kulturelles Minenfeld sozusagen, in dem ihr Nimbus Schaden nehmen könnte. Wie sagt man: Mitleid bekommt man umsonst, den Neid hat man sich also redlich verdient. Auch schön.
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¹ Was die Großprojekte des Künstlerpaares so überzeugend macht, ist das jeweilige Finanzierungskonzept, das völlig autonom funktioniert und sich somit jeder populistischen Kritik entzieht. Viele industrielle Unternehmen partizipieren an der Planung, Produktion und Umsetzung.
Carcassi, Etude Opus 60 No. 18 | Aerial view of sandy beach and ocean with waves:
AdobeStock
Matteo Carcassi (1796-1853)
war ein italienischer Gitarrist, dessen Etüden für Gitarre
noch immer unterrichtet werden.