kalligrafie und schriftkunst

Grundlage aller Schrift ist die Kalligrafie. Der künstlerische Einstieg über das handwerkliche Schreiben mit der Feder fördert das Verständnis guter Formgebung im gesamten Bereich der Typografie.

Tutorials (passwortgeschützter Bereich) © 1991-2023 Helmut Egerer

„Writing, Illuminating and Lettering“

Das im Jahr 1908 veröffentlichte Buch des Briten Edward Johnston wird zur Bibel der Kalligrafie schlechthin. Seine deutsche Studentin Anna Simons übersetzt das Werk und gibt es zwei Jahre später in Leipzig heraus unter dem Titel „Schreibschrift, Zierschrift und angewandte Schrift“.

Als Studierende lernen wir das Buch nur vom Hörensagen kennen, zu Gesicht bekommen wir es nie. Was auch vorerst nicht notwendig ist, denn unser Meister für Schriftgestaltung ist selbst ein herausragender Schreiber, hat etwas Englisches an sich und vermittelt die klassische Schreibkunst nach Johnstons Manier wie kein anderer. Professor Lubahn nimmt selbst übrigens nie die Vokabel „Kalligrafie“ in den Mund, das Wort gefällt ihm nicht. Vielleicht ist ihm das zu folkloristisch, zu sehr Mainstream. Seine Welt ist die Klassik, seine Zehn Gebote stehen in Antiqua gemeißelt auf der Trajanssäule. Sei’s drum – das Römische steht uns gut und bleibt an uns Trierer Alumni hängen. Kann man mit Stolz so sagen.

Schriftschreiben lernen

Der Zugang zur guten Schriftform ist sowohl über den rein typografischen als auch über den kalligrafischen Weg möglich. Die Beschäftigung mit der klassischen Schreibkunst erfolgt dabei eher intuitiv. Bei richtigem Gebrauch des Werkzeugs entsteht aus der Bewegung heraus die organisch richtige Form. Gegenüber der reinen Typografie birgt die Kalligrafie jedoch immer das Risiko der plumpen Übertreibung. Bei aller Freude am gefälligen Ergebnis, entscheidend ist, wie ernsthaft man eine Sache weiterverfolgt. Letzlich erreicht man ein respektables Niveau nur durch diszipliniertes, selbstkritisches Üben anhand hochwertiger Vorlagen.

Vor einiger Zeit bietet mir der Augsburger Augustus Verlag die Möglichkeit, meine eigenen methodischen Vorstellungen zu sortieren. Ausgehend von den klassischen Buchstabenformen, werden in meinem Lehrbuch mit dem Titel „Schreibschriften“ abschließend expressive Ansätze verfolgt, wie sie auch im kommerziellen Design einsetzbar sind.

Nachfolgend Auszüge aus dem Buch „Schreibschriften – Künstlerisches Kalligrafieren für Einsteiger“ …

Künstlerisches Kalligrafieren – ein Lehrbuch

Das Buchprojekt bietet ideale Bedingungen, denn nicht nur als Autor und Kalligraf kann man sich zu hundert Prozent einbringen, der Verlag überträgt uns auch vertrauensvoll das Layout, im Rahmen gewisser Vorgaben – ein wahrer Glückfall!

Durch die wieder aufgenommen Unterrichtspraxis greife ich gerne auf dieses Buch zurück, dass ich immer noch gelungen finde. Vor allem, wenn ich aktuell bestätigt werde, wie gut Methodik und didaktische Auswahl immer noch funktionieren, um junge Designinteressierte für das Thema Schrift zu begeistern. Das Spektrum reicht von der Humanistischen Kursiven, über die edle Antiqua, die kapriziöse Englische Schreibschrift bis hin zur freien Improvisation: ein schüchterner Vorgriff auf das, was heute in der Streetart als Calligraffiti Furore macht.

Das Buch ist vom Verlag zweimal hintereinander erfolgreich aufgelegt, schnell verkauft und dann ad acta gelegt worden. Aber antiquarisch/online immer noch verfügbar (siehe unten).

Aus dem Klappentext: „Schreibschriften – dekorativ und künstlerisch – sind mehr als das, was in der Schule erlernt wurde. Sie sind faszinierend durch ihren Schwung und Eleganz und werden dem Ursprung nach immer schnell und fließend geschrieben. Ihr Schriftcharakter wird weitgehend durch das Schreibwerkzeug geprägt: Sei es die klassische Breitfeder, sei es die Spitzfeder oder seien es ungewöhnliche, zum Teil selbst herstellbare Werkzeuge wie diverse Pinsel, Rohr- und Bambusfeder oder einfache, zum Schreiben zugeschnittene Hölzer.“

Das Schreiben hat wieder Konjunktur, gerade in einer Generation, die sich an den digitalen Medien erst einmal gründlich abgearbeitet hat.

Kalligrafie + Typografie

Geschriebene Schrift ist im zeitgemäßen Kommunikationsdesign mit Vorsicht zu genießen. Erst die freie Kalligrafie hat eine ästhetische Funktion. Die Kalligrafie bleibt entweder in klassischer Ausrichtung als eigene Kunst für sich allein oder sie sucht im spontanen Gestus den bewussten Kontrast zur geordneten Typografie.

Geschriebene Schrift genießt im Design lediglich eine Nebenrolle. Unser eingangs erwähnter Schriftprofessor selig kann in seinem Berufs(vor)leben beispielsweise noch für die Zigarettenindustrie oder einen berühmten Weinbrandhersteller schriftkünstlerisch brillieren. Die Zeiten sind, spätestens seit dem sogenannten Desktop-Publishing, endgültig vorbei. Niemand würde eine perfekt geschriebene Antiqua im Satzbild als Originalgrafik erkennen oder als solche würdigen. Vintage-Fonts oder Grunge-Typo sind zwar recht beliebt, aber eben nur in editierbarer, also digitaler Form, selten als handwerkliche Artwork.

Um diese seltenen Fälle geht’s hier. Immer noch können kalligrafische Schriftzüge ein echter Hingucker sein. Ob als Logo, als Claim oder Headline auf Drucksachen oder in Online-Präsenzen. Das Ganze basiert dann auf dem Kompositionsprinzip der gestörten Ruhe, die „Extravaganzen“ im Grauwert der Typografie wirken besonders plakativ. Dazu kommt der lebhafte Ausdruck, der naturgemäß deutlich intensiver die Emotionen anspricht, als die neutralen Satzbuchstaben es könnten. Springender Punkt: es muss thematisch passen und es muss wirklich gut sein. Ein Kollege hat die Rolle der Kalligrafie einmal treffend mit dem Ballett verglichen. Es darf nie zu theatralisch werden und schon gar nicht gar ins Stolpern geraten.

Nur wer diese Kunst beherrscht, kommt auch auf die Idee, sie einzusetzen. Die Gelegenheiten dazu sind durchaus vorhanden und bedeuten für den beauftragenden Kunden ein gewisses Alleinstellungsmerkmal. Digitale Simulationen sind prinzipiell möglich, aber halt Fakes und keine Kunst und an der sich wiederholenden Einzelform ist zudem leicht erkennbar, ob das ein Mensch geschrieben oder ein Algorithmus gezaubert hat.

Die nachfolgenden Beispiele für den italienischen Feinpapierhersteller Fedrigoni zeigen die Rohrfeder in spontaner Manier, als tragendes Key Visual der Kampagne „PaperCult“. (siehe Portfolio)

Der Slider zeigt Druckmuster aus der Promotion für die Cartiere Fedrigoni, Verona. Schriftzüge in Rohrfeder und Tusche.

Unterricht + Methode

Der Schriftunterricht an der Münchner Montessori-Oberschule (MOS) beginnt in der Regel mit einem 2- bis 3-tägigen Intro in Kalligrafie. Das ist eine extrem kurze Zeit, die Ergebnisse sind gerade deshalb bemerkenswert.

Die Zielsetzung des rein handwerklichen Ansatzes ist pragmatisch: Kalligrafie funktioniert mit einfachsten Mitteln, Federhalter, Breitfeder und schwarze Tinte. Wir schreiben auf kariertem Papier und lernen den sogenannten „Wechselzug“ als formale Grundlage der abendländischen Schriften kennen. Wichtiger Aspekt: die Schlüsselformen. Die vorsichtige Einübungsphase ist auf einen Tag beschränkt und eigentlich zu kurz bemessen. Aber dennoch bleibt für ein erstes Kennenlernen erstaunlich viel hängen, vielleicht auch, weil die Aufmerksamkeit nicht überbeansprucht wird. Die Zeiten haben sich nun mal geändert.

Ästhetischer Bezugs- und Ausgangspunkt ist die Humanistische Kursiv der frühen italienischen Renaissance, mit deren Einübung sich auch nebenbei die eigene Handschrift kultivieren lässt. Wie das funktioniert, zeigt anschaulich der nachfolgende Exkurs. Auf das re-produzierende Schreiben exakter Buchstabenformen folgt das freie Improvisieren. In größerem Maßstab und mit rustikalen Werkzeugen lernen wir zufällige Schreibspuren und Effekte kennen. In Anlehnung an das internationale Calligraffiti streifen wir zudem das Fraktur-Alphabet, nicht ohne den historischen Kontext kritisch zu beleuchten.

Die Beispiele unten sind Arbeiten einer 11. Klasse am zweiten Tag! Die Anklänge an die zuvor nur kurz eingeübte Kursive sind im freien Spiel dennoch deutlich erkennbar. Nur hat das Ganze einen völlig anderen „Drive“. Bewegung und Rhythmus müssen dazu regelrecht eingefordert werden. Der Spaß am „Action Painting“ spielt eine wichtige Rolle. Einige entdecken zum ersten Mal die Lust am tintenklecksenden Gestus.

Das ist so ganz anders, als man es selbst gelernt hat – sich aber vielleicht gewünscht hätte! In der Kürze liegt die Würze. Die kalligrafische Vorstufe dient zur Vorbereitung auf den weiteren Unterricht in Typografie und Plakatgestaltung.

Beispiele aus dem Unterricht „Grundlagen Typografie – Schrift und Plakat“ – experimentelle Einführungsphase. Mehr im Blog-Artikel

Lehraufträge und Lehrbuch

  • WS 1988-1989 · Universität Gesamthochschule Essen · Lehrauftrag Typografie
  • 1990-1991 · BBZ, Berufsfachschule für Grafik und Werbung, München · Lehrauftrag Typografie
  • 1996-1998 · DiZ, Zentrum für Hochschuldidaktik, Kempten · Typografieseminare
  • seit 2012 · Montessori Fachoberschule München, FB Gestaltung · Praxiswerkstatt Schrift und Plakat

Lehrbuch zur künstlerischen Kalligrafie

  • Helmut Egerer, Schreibschriften, Lehrbuch, 84 Seiten · ISBN 3-8043-0169-X
  • Übungsbuch, 32 Seiten · ISBN 3-8043-0184-3