stay hungry, stay foolish!

Lebensweisheiten von Prominenten sind ambivalent, aber es gibt Personen, denen man gut zuhören kann, weil sie etwas Essenzielles zu sagen haben und deren Werk auch bei objektiver Kritik enorm viel Einfluss auf das eigene (Berufs-)Leben hat. Im Orwell-Jahr 1984 schließe ich mein Studium ab und Steve Jobs bringt der ersten Computer für Grafiker auf den Markt. Das passt dann alles irgendwann wunderbar zusammen. Und Jobs’ Rede an der in der Stanford University im Jahr 2005 ist eine Art Glaubensbekenntnis dazu.

Steve Jobs’ Rede an der Stanford University

Nachfolgend meine Übersetzung (Originalmanuskript siehe Stanford News Online):

„Es ist mir eine Ehre, heute mit Ihnen, an der Abschlussfeier einer der besten Universitäten der Welt teilzunehmen. Ich habe nie eine Universität abgeschlossen. Um die Wahrheit zu sagen, ich war noch nie so nah dran an einer Abschlussfeier. Heute möchte ich Ihnen drei Geschichten aus meinem Leben erzählen. Das ist alles. Keine große Sache. Nur drei Geschichten.

Die erste Geschichte handelt davon Verbindungen herzustellen.
The first story is about connecting the dots.

Ich verließ die Reed Universität nach den ersten 6 Monaten, blieb dann aber als Externer für etwa 18 weitere Monate, bevor ich endgültig ausstieg. Also, warum habe ich aufgehört?

Es begann vor meiner Geburt. Meine leibliche Mutter war eine junge, ledige Hochschulabsolventin, und sie beschloss, mich zur Adoption freizugeben. Es war ihr sehr wichtig, dass ich von Akademikern adoptiert werden sollte, also wurde alles für mich festgelegt, um nach der Geburt von einem Anwalt und seiner Frau adoptiert zu werden. Nur, als ich da war, beschlossen jene in letzter Minute, dass sie eigentlich ein Mädchen wollten. So erhielten meine Eltern, die auf einer Warteliste standen, einen Anruf mitten in der Nacht und wurden gefragt: „Wir haben unerwartet einen neugeborenen Jungen – wollen Sie ihn?“ Sie sagten: „Natürlich.“

Meine leibliche Mutter fand später heraus, dass meine Adoptiv-Mutter nie eine Universität und mein Vater nie eine High School abgeschlossen hatten. Sie weigerte sich, die endgültigen Adoptionsunterlagen zu unterzeichnen. Einige Monate später gab sie nur nach, weil meine Eltern versprachen, dass ich eines Tages auf die Universität gehen würde.

Und 17 Jahre später ging ich tatsächlich auf die Universität. Aber naiverweise wählte ich eine Universität, die fast so teuer war wie Stanford und alle Ersparnisse meiner Arbeiterklasse-Eltern wurden für meine Studiengebühren ausgegeben. Nach sechs Monaten konnte ich keinen Wert darin erkennen. Ich hatte keine Ahnung, was ich mit meinem Leben anfangen wollte und keine Ahnung, wie die Universität mir helfen sollte, es herauszufinden. Und dazu verbrauchte ich all das Geld, das meine Eltern ihr Leben lang gespart hatten. So beschloss ich aufzuhören und darauf zu vertrauen, dass sich am Ende alles irgendwie regeln würde.

Es war ziemlich beängstigend zu der Zeit, aber im Rückblick war es eine der besten Entscheidungen die ich je gefällt habe. Von dem Moment an, da ich exmatrikuliert war, konnte ich die Pflichtkurse weglassen, die mich nicht interessierten und die besuchen, die interessant wirkten. Es war nicht alles romantisch. Ich hatte kein eigenes Zimmer, so schlief ich auf dem Fußboden bei Freunden, brachte leere Coke-Flaschen für 5 Cent zurück, damit ich mir Essen kaufen konnte und ich lief am Wochenende 10 Kilometer durch die Stadt, um am Hare-Krishna-Tempel eine warme Mahlzeit zu bekommen. Ich liebte es. Und vieles, worüber ich stolperte, indem ich meiner Neugier und Intuition folgte, erwies sich später als unbezahlbar. Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben:

Die Reed Universität bot zu dieser Zeit vielleicht die besten Kalligrafiekurse im ganzen Land an. Auf dem ganzen Campus war jedes Plakat, jedes Etikett auf den Schubladen wunderschön handgeschrieben. Weil ich exmatrikuliert war und nicht die normalen Kurse besuchen musste, beschloss ich, einen Kalligrafiekurs zu besuchen, um zu lernen wie man das macht. Ich lernte von Serifen- und serifenlose Schriften, über das Ausgleichen verschiedener Buchstabenkombinationen und darüber, was großartige Typografie wirklich großartig macht. Es war schön, historisch, künstlerisch subtil in einer Weise, die wissenschaftlich nicht zu erfassen ist. Und ich fand es faszinierend.

Nichts davon schien auch nur im Ansatz eine praktische Anwendung in meinem Leben zu finden. Aber 10 Jahre später, als wir den ersten Macintosh Computer entwarfen, kam mir alles wieder in Erinnerung und wir haben es in den Mac eingearbeitet. Es war der erste Computer mit schöner Typografie. Wenn ich nie in diesen Kurs auf der Universität gegangen wäre, hätte der Mac nie verschiedenartige Schrifttypen in Satzqualität gehabt. Und da Windows einfach nur den Mac kopierte, ist es sogar wahrscheinlich, dass bis heute kein Computer das haben würde. Wenn ich mein Studium nicht abgebrochen hätte, wäre ich nie in diesen Kalligrafiekurs gegangen, und die heutigen Computer hätten möglicherweise nicht diese wunderbare Typografie, die sie jetzt haben. Natürlich war es damals, als ich in an der Universität war, unmöglich, diese Ereignisse nach vorne in die Zukunft zu verbinden. Aber war es sehr, sehr klar in der Rückschau 10 Jahre später.

Nochmal, du kannst diese Verbindungen nicht sehen, wenn du nach vorne schaust; du kannst sie nur in der Rückschau erkennen. Denn du musst darauf vertrauen, dass sich die Punkte irgendwie in deiner Zukunft verbinden. Du musst auf etwas vertrauen – auf deinen Bauch, Schicksal, Leben, Karma, was auch immer. Dieser Ansatz hat mich nie im Stich gelassen und er hat den entscheidenden Unterschied in meinem Leben ausgemacht.

Meine zweite Geschichte handelt von Liebe und Verlust
My second story is about love and loss

Ich hatte Glück – sehr früh in meinem Leben fand ich das, was ich machen wollte. Woz und ich starteten Apple in der Garage meiner Eltern, als ich 20 war. Wir arbeiteten hart, und in 10 Jahren war Apple aus einem Zwei-Mann Betrieb in der Garage zu einem 2 Milliarden Dollar Unternehmen mit über 4.000 Mitarbeitern gewachsen. Wir hatten gerade ein Jahr zuvor unsere feinste Kreation auf den Markt gebracht – den Macintosh – und ich war gerade 30 geworden. Und dann wurde ich gefeuert. Wie kann man von einem Unternehmen, das man selbst gegründet hat, gefeuert werden?

Nun, als Apple wuchs, stellten wir jemanden ein, den ich für sehr talentiert hielt, um die Firma mit mir zusammen zu führen, und für etwa das erste Jahr lief es auch gut. Aber dann gingen unsere Vorstellungen von der Zukunft auseinander und schließlich hatten wir ein Zerwürfnis. Dabei stellte sich unsere Vorstand auf dessen Seite. So war ich mit 30 draußen und das sehr öffentlich. Der Fokus meines gesamten Lebens war verschwunden und das war verheerend.

Für einige Monate wusste ich wirklich nicht, was ich machen sollte. Ich fühlte mich, als hätte ich die letzte Unternehmergeneration im Stick gelassen – als hätte ich das Staffelholz bei der Übergabe fallen gelassen. Ich traf mich mit David Packard und Bob Noyce und versuchte mich für mein Versagen zu entschuldigen. Es war ein sehr öffentliches Versagen und ich dachte sogar daran, das Valley zu verlassen. Aber etwas begann mir langsam zu dämmern – ich liebte noch immer das, was ich machte. Die Wende bei Apple hatte daran nicht das Geringste geändert. Man hatte mich abgewiesen, aber ich war noch immer verliebt. Und so entschied ich mich für einen Neustart.

Zu dieser Zeit konnte ich das nicht erkennen, aber von Apple gefeuert zu werden, war das Beste, das mir passieren konnte. Die Last erfolgreich zu sein wurde ersetzt von der Unbeschwertheit des Anfängers, der sich bei nichts sicher sein musste. Es machte mich frei, eine der kreativsten Phasen meines Lebens zu beginnen.

Die nächsten fünf Jahre baute ich eine Firma namens NeXT auf, eine weitere namens Pixar und verliebte mich in eine fantastische Frau, die meine Ehefrau werden sollte. Pixar entwickelte den ersten computeranimierten Spielfilm „Toy Story“ und ist nun das erfolgreichste Animations-Studio der Welt. In einer bemerkenswerten Wende kaufte Apple NeXT, ich kehrte zu Apple zurück, und die Technologie, die wir bei NeXT entwickelten, ist das Herzstück von Apples aktueller Renaissance. Und Lauren und ich haben zusammen eine wunderbare Familie.

Ich bin ziemlich sicher, dass dies alles nicht passiert wäre, wenn ich nicht von Apple gefeuert worden wäre. Es war eine furchtbar bittere Medizin, aber ich denke, der Patient brauchte sie. Manchmal trifft dich das Leben mit einem Backstein am Kopf. Verlieren Sie nicht den Glauben. Ich bin davon überzeugt, dass das Einzige, das mich weiter antrieb, die Tatsache war, dass ich liebte was ich tat. Sie müssen das finden, was Sie lieben. Und das gilt sowohl für Ihre Arbeit, als auch für Ihre Lebenspartner. Ihrer Arbeit wird einen großen Teil Ihres Lebens ausfüllen, und der einzige Weg, um wirklich zufrieden sein, ist das zu tun, was Sie als großartige Aufgabe ansehen. Und die einzige Art, eine großartige Arbeit zu schaffen, ist zu lieben, was man tut. Wenn Sie das noch nicht gefunden haben, suchen Sie weiter. Bleiben Sie nicht stehen. Wie bei allen Dingen des Herzens, werden Sie spüren, wenn Sie es gefunden haben. Und, wie jeder großartigen Beziehung, wird sie Jahr für Jahr besser und besser. Suchen Sie also immer weiter, bis Sie es finden. Bleiben Sie nicht stehen.


Meine dritte Geschichte handelt vom Tod
My third story is about death

Als ich 17 war, las ich ein Zitat, so ähnlich wie: „Wenn du jeden Tag so lebst, als wär's dein letzter, hast du mit Sicherheit eines Tages Recht.“ Das beeindruckte mich, und seitdem habe ich, die letzten 33 Jahre, jeden Morgen in den Spiegel geschaut und mich gefragt: „Wenn heute der letzte Tag in meinem Leben wäre, würde ich heute tun wollen, was ich tun werde?“ Und wann immer die Antwort für zu viele Tage hintereinander „Nein“ war, wusste ich, dass ich etwas ändern musste. Der Gedanke daran, dass ich bald tot sein werde, ist es das wichtigste Werkzeug, dem ich je begegnet bin um große Entscheidung im Leben zu treffen. Denn fast alles – alle äußeren Erwartungen, aller Stolz, alle Angst vor Peinlichkeit oder Versagen – all diese Dinge entfallen im Anblick des Todes und lassen nur das übrig, was wahrhaft wichtig ist. Sie daran zu erinnern, dass Sie sterben werden, ist der beste Weg, den ich kenne, der Denkfalle aus dem Weg zu gehen, etwas zu verlieren. Du bist bereits nackt. Es gibt keinen Grund, dem Herzen nicht zu folgen.

Vor etwa einem Jahr wurde bei mir Krebs diagnostiziert. Ich hatte einen Scan morgens um 7:30 Uhr und es zeigte sich eindeutig ein Tumor an meiner Bauchspeicheldrüse. Ich wusste nicht einmal, was eine Bauchspeicheldrüse ist. Die Ärzte sagten mir, das dies ziemlich sicher ein unheilbarer Krebs sei und dass ich damit rechnen sollte, nicht länger als drei bis sechs Monate zu leben. Mein Arzt riet mir, nach Hause zu gehen und meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, was der Ärzte-Terminologie für die Vorbereitung zum Sterben ist. Es bedeutet zu versuchen, deinen Kindern in nur wenigen Monaten all das zu sagen, von dem du vorher dachtest 10 Jahre Zeit zu haben. Es bedeutet, dass alles so geregelt sein muss, dass es am Ende so einfach wie möglich für deine Familie wird. Es bedeutet, sich von allen zu verabschieden.

Ich lebte den ganzen Tag mit dieser Diagnose. Später am Abend hatte ich eine Biopsie, bei der sie mir ein Endoskop in den Hals steckten, durch meinen Bauch bis in den Darm, sie führten eine Nadel in meine Bauchspeicheldrüse ein und bekamen ein paar Zellen von dem Tumor. Ich war sediert, aber meine Frau, die dort war, sagte mir, dass die Ärzte weinten, als sie die Zellen unter einem Mikroskop betrachten. Denn es stellte sich heraus, dass es sich um eine sehr seltene Form von Pankreaskrebs handelte, der chirurgisch heilbar ist. Ich unterzog mich diesem Eingriff und nun geht es mir gut.

Da war ich dem Tod so nahe wie nie und hoffe, dass es für einige Jahrzehnte dabei bleibt. Nachdem ich all das durchlebt habe, kann ich Ihnen etwas mit mehr Gewissheit sagen, als zur Zeit, als der Tod für mich lediglich nützliches, aber rein intellektuelles Konzept war: Niemand will sterben. Selbst Menschen, die in den Himmel wollen, wollen nicht sterben um dort hin zu kommen. Und doch ist der Tod die Bestimmung für uns alle. Niemand ist dem jemals entkommen. Und es ist gut so, denn der Tod ist sehr wahrscheinlich die absolut beste Erfindung des Lebens. Er ist der Agent für den Wandel des Lebens. Er bereinigt vom Alten, um Platz für das Neue zu machen. Im Moment sind Sie das Neue, aber in nicht allzu ferner Zukunft werden Sie allmählich zum Alten und verdrängt werden. Sorry, dass ich so dramatisch bin, aber es ist leider wahr. Ihre Zeit ist begrenzt, also vergeuden Sie sie nicht, um das Leben eines anderen zu führen. Gehen Sie keinen Dogmen auf den Leim – das bedeutet nur mit den Denkresultaten anderer Menschen zu leben. Lassen Sie nicht den Lärm anderer Meinungen Ihre eigene innere Stimme übertönen. Und das Wichtigste, haben Sie den Mut, Ihrem Herzen und Ihrer Intuition zu folgen. Die wissen schon irgendwie, was Sie wirklich werden wollen. Alles andere ist zweitrangig.

Als ich jung war, gab es eine wunderbare Publikation namens „The Whole Earth Catalog“, die eine der Bibeln meiner Generation war. Sie wurde verfasst von einem Mann namens Stewart Brand, nicht weit von hier im Menlo Park und er tat das in seiner poetischen Manier. Dies war in den späten 1960er Jahren, vor dem PC und Desktop-Publishing, daher war alles mit Schreibmaschinen, Scheren und Polaroid-Kameras gemacht. Es war eine Art Google in Taschenbuchformat, 35 Jahre bevor es Google gab: Es war idealistisch, voller nützlicher Werkzeuge und großartiger Ideen. Stewart und sein Team veröffentlichten einige Ausgaben des „Whole Earth Catalog und dann, als er seine Pflicht erfüllt hatte, eine allerletzte. Es war Mitte der 1970er Jahre, und ich war in Ihrem Alter. Auf der Umschlagrückseite dieser letzten Ausgabe war das Foto einer frühmorgendlichen Landstraße. Jene Art, die Sie als Tramper erleben können, wenn Sie entsprechend abenteuerlich sind. Darunter die Worte: „Bleibt hungrig. Bleibt albern.“ Es war ihre Abschiedsbotschaft, als sie aufhörten. Bleibt hungrig. Bleibt albern. Und genau das habe ich mir immer für mich selber gewünscht. Und jetzt, da Sie Ihr Examen haben, um von Neuem zu beginnen, wünsche ich Ihnen dasselbe.

Bleibt hungrig! Bleibt närrisch! Ich danke Ihnen.“

p.s. deutsch-amerikanischer Idealismus

Es liegt mir fern, dem verstorbenen Gründer von Apple ein Denkmal zu setzen. Steve Jobs’ Text funktioniert ja auch ohne die üblichen Hollywood-Sentimentalitäten. Aber wenn man so will, finden sich in dieser typisch amerikanischen Erfolgsbiografie verblüffend viele Motive aus dem deutschen Idealismus zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Der romantisch-visionäre Ansatz in der Lebensführung, das Streben nach Fortschritt und Ästhetik, die Zuversicht auf der Suche nach dem eigenen Glück, das „sich selbst setzende Ich“. Dabei drückt sich der Amerikaner gottseidank verständlicher aus, als Hegel & Co. Ein Zitat des Philosophen Friedrich Schelling (1775-1854) trifft es allerdings auf den Punkt:

„Es ist keine Organisation denkbar ohne eine produktive Kraft. Eine solche Kraft aber ist nur die Kraft eines Geistes. Also können Dinge nicht durch sich selbst wirklich sein. Sie können nur Geschöpfe, nur Produkte eines Geistes sein“.